Sagenhaftes

Sagenhaftes aus Magdeburg und aus der Region

Die Sage von der Enthauptung des Erzbischofes Udo
– Magdeburger Dom

Bericht über die Ermordung des Erzbischofs Burchart III.
– Ratskeller

Die Sage vom Freundlichen Gesicht
– Große Münzgasse 13 (Grünearmstr. 17)

Die Sage von den eifersüchtigen Bauherren
– Breiter Weg 30

Die Sage von der Goldenen Axt – „Brauhaus zur Steinernen Bank“
– Johannisberg 12 und Knochenhauerufer 8

Die Sage von der goldenen Waage
– Ratswaage, Jakobsstr. 18-23

Die Sage vom goldenen Apfel
– Apfelstraße 9

Die Sage vom goldenen Kopf oder zum Hühnernest
– Katharinenstraße 3

Die Sage vom goldenen Schiff
– Packhofstraße 1

Die Sage von David – ein Magdeburger dem Donar geopfert
– Leiterstraße 2

Die Sage vom weißen Pferd
– Breiter Weg 19 (Domfreiheit)

Sage um Otto von Guerickes verschwundene Gebeine
– Johanniskirche

Die Sagen vom Blut schwitzenden Stein und von der auferstehenden Jungfrau
– Apfelstraße 13 (Zum Pelikan). Alter Markt (zum goldenen Greif)

Sage vom Lindwurm oder vom Rothensee
– Breiter Weg 142

Regionale Sagen aus dem Umland und Familienbeziehungen

 

Rekonstruktion eines Wandbildes aus „Stroms Keller“, Breiter Weg am Eingang zum Alten Markt

Geschichte wird nicht zuletzt auch durch Geschichten geprägt, die Ereignisse wiedererzählen und oft mit Personen, Orten und Zeiten verknüpft sind. Aufgeschrieben bleiben sie am besten im Gedächtnis der Bevölkerung; in ihnen spiegeln sich religiöse, soziale und kulturelle Umbrüche und Konflikte.

Einige Stoffe sind Gründungsmythen um die Stadt; andere lassen die wendische Vergangenheit der Region wieder aufleben, die bei aller Hochachtung für die Leistung der Sachsen nicht in den Hintergrund treten darf. Aus dem Dreißigjährigen Krieg stammen allegorisch gefärbte Eroberungsmythen (von der stolzen Jungfrau Magdeburg, die „genommen“ und dann in wüster Weise gezaust wurde, hat schon Ricarda Huch berichtet).

In die Antike versetzt wird die Gründung der Stadt durch ein mythischen Venustempel (Veneris Myrthiae) glorifiziert, später kommen Christianisierungslegenden um Sankt Mauritius, den dunkelhäutigen Heiligen, dazu, die in diesem Teil des damaligen Germanien in verschiedenen Varianten erzählt wurden. Aus dem frühen Mittelalter stammen auch die Wendensagen sowie die Sagen um Kaiser Otto und Editha, um die sich jeweils ein eigener Sagenkreis gebildet hat.

Kurze regionale Sagenstoffe haben einen völlig anderen Charakter. Diese sehr unterschiedlichen Sagen sind bereits gut recherchiert. (zum Beispiel: Axel Kühling: `Magdeburger Sagen´ , Erster und Zweiter Teil , Delta-D-Verlag, Magdeburg 2001). Zwei Sagenstoffe sind in der Chronik der Herrschaft Wiesenburg, von dem Dorfpfarrer Herrn Fähndrich recherchiert und aufgeschrieben – dazu unten mehr. Andere Sagenstoffe stammen aus nahen Umgebung von Magdeburg. Mündlich tradierte Sagenmotive aus der Region beleuchten das Leben der Landbevölkerung, gehören aber für meine Begriffe untrennbar zu Magdeburg. Sie können nämlich Ereignisse bestätigen bzw. deren Bedeutung in der damaligen Zeit herausheben (kriegerische Auseinandersetzungen, Dürreperioden, außergewöhnliche Naturwunder). Zumal auch einige Magdeburger sogenannte Ackerbürger waren oder Besitztümer in der Region hatten. Ältere und jüngere Regionalsagen dürfen nicht verloren gehen – sie sind mir an dieser Stelle sehr willkommen und werden hier veröffentlicht!

Im Mittelpunkt stehen die Haussagen Magdeburgs, die sich erst ab dem Mittelalter gebildet haben. Hauszeichen ersetzten damals bekanntlich Hausnummern. Um beinahe jedes Hauszeichen wurden erst eine bestimmte Sage „erfunden“, deren Ursprung in der mündlichen Tradition wurzelt.

Diese Haussagen können teilweise aus dem Mittelalter stammen, sie wurden stellenweise durch spätere Zeitschichten überlagert. Manche stammen auch erst aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und danach, sie beleuchten die politische Stimmung in Magdeburg und den Neuanfang einer Stadt, die sich danach zu einer Festungs- und Industriestadt weiterentwickelte.

Ein oder zwei mittelalterlich geprägte Haussagen, haben durch besondere Motive sogar Eingang in die Hausmärchen der Brüder Grimm gefunden. Natürlich sind längst nicht alle Haussagen erfasst, aber was nicht ist, kann ja noch werden!

Zu den Quellen: Die Hauptquelle der meisten Sagentexte ist Friedrich Hülßes Sammlung „Sagen der Stadt Magdeburg“ (ohne Jahreszahl), der jede Sage sehr ausführlich und im Stil des 19. Jahrhunderts schildert. Manchmal mussten sogar bis zu 40 Seiten in das Format einer DIN-A-4-Seite gebracht werden. Auch die Berichte aus der mir vorliegenden Chronik der `Herrschaft Wiesenburg´ von Pfarrer Fähndrich (Belzig, 1858) habe ich in ähnlicher Weise gekürzt. Weitere Quellen sind der o.g. Axel Kühlung, Ernst Neubauer: Häuserbuch der Alten Stadt Magdeburg, Band 1 und Günter Hammerschmidt: „Häuser mit Hauszeichen in der ehemaligen Altstadt von Magdeburg“.

Wer sich für die ausführliche Form der Sage interessiert, dem empfehlen wir die Originalquelle.

Berlin im März 2018, Annette Brandt von Lindau

Die Sage von der Enthauptung des Erzbischofes Udo – Magdeburger Dom

Als sich Erzbischof Udo eines Nachts wieder in schlechter Gesellschaft befand, soll ihm die Heilige Maria selbst die Leviten gelesen haben:

„Mach´ ein Ende deinem Spiel,
du hast gespielt schon allzu viel!“

Dies tat sie wohl drei Nächte lang, aber Udo kümmerte sich nicht darum und trieb es fast noch ärger. Erzürnt verstummte die Muttergottes.

Aber die recht irdische Rache sollte folgen: Friedrich, einer seiner Domherren, kniete vor dem Altar des Magdeburger Doms und betete, Udos Herz möge endlich erleuchtet werden, als zwei Engel herabschwebten und die Kerzen im Dom auf einen Schlag erloschen. Ein riesiger Mann erschien – war es gar ein Erzengel? – der in den dunklen Dom rief:

Ausschnitt aus dem Merian-Stich vom Panorama der Alten Stadt Magdeburg

„Kommet her, alle Heiligen, deren Reliquien hier ruhen, und haltet Gericht!“

Die Schutzheiligen St. Mauritius, die Heilige Katharina, Innozenz und all die anderen eilten herbei und verurteilten den Erzbischof zum Tode. Domherr Friedrich war Zeuge, wie sie den armen Udo herbeischleppten und wie der Erzengel ihn enthauptete. Ohne zurückzuschauen eilte der Domherr nach Hause – nein, das war kein Traum!

Schon am nächsten Morgen wurde die Leiche des Erzbischofs in einer Jauchegrube gefunden; kein Bürger weinte ihm nur eine Träne nach. Man verbrannte den Gotteslästerer und warf seine Asche in die Elbe.

Doch die Fischer der Stadt und mit ihnen alle Magdeburger traf ein Fluch, denn ihnen ging kein Fisch mehr ins Netz – und das für ganze zehn Jahre. So wurde Magdeburg wegen des Frevels von Udo oder an Udo bestraft. Denn seinen Erzbischof enthauptet man nicht so einfach, auch wenn man sich für den Erzengel Gottes hält! Zur Erinnerung daran lag lange Zeit im Magdeburger Dom ein Marmorstein vor dem Altar, wo die Enthauptung stattgefunden haben soll.

Historischer Hintergrund:

Aus dem Sagenreigen um den Magdeburger Dom, seinen Erzbischöfe und Domherren stammt die oben wiedergegebene Sage. Ein Erzbischof Udo ist für jene Zeit in der Liste der Magdeburger Erzbischöfe nicht belegt. Dass mit Udo Otto von Hessen (1325-1361) gemeint sei, ist ebenso spekulativ wie die Vermutung, es sei Ludo (1192-1205) gewesen. Der sagenhafte Udo soll ein Schüler der Domschule zu Magdeburg gewesen sein, dem das Lernen schwer fiel und dem „das rechte Geschick am Studium der Theologie und der Naturwissenschaften gänzlich fehlte“ (Axel Kühling). Das spricht wohl eher gegen den gelehrten Ludo.

(Quelle: nach Axel Kühling „Magdeburger Sagen“, 1. Teil S. 58 f.)

Bericht über die Ermordung des Erzbischofs Burchart III. – Ratskeller

Axel Kühling weiß, dass der sehr unbeliebte Erzbischof, nachdem er der Stadt Magdeburg das Salzamt entzogen und eine Biersteuer abgepresst hatte, zudem noch das Absingen von eintausend Kirchenliedern von den Magdeburgern verlangt hatte – das erhitzte die Gemüter der stolzen Bürger natürlich.

In der Schöppenchronik heißt es dazu in Auszügen:

Ratskeller heute

Danach richteten sie es ein, daß Bürger den Bischof einluden…- Da er in die Stadt kam, da wurde er festgenommen und auf seinen Palast gebracht und dort gefangengesetzt am St. Johannistag (29. August). Die Bürger setzten ihm eine starke Wache, daß er nicht hinwegkommen konnte. Der Bischof sandte zu seinen Domherren, daß sie ihm freundliche Verhandlungen mit den Bürgern vermittelten: Die Domherren wollten aber nicht zu ihm kommen… –

Also kamen die sechsunddreißig Ratsmannen, die da waren, und nahmen den Bischof an St. Matthäus (21. September) nachts von seinem Bett und brachten ihn auf das Rathaus und übergaben ihn vier Mannen, die erpicht und töricht waren, die sollten ihn einbehalten. Die führten ihn in der Nacht in einen Keller und schlugen ihn tot mit einem Riegel, wie man ihn flach vor die Tür steckt. Gleich drei schlugen ihn. Da der Vierte schlagen sollte, da war der Bischof bereits tot.

Historischer Hintergrund:

Die Schöffenchronik berichtet von den handgreiflichen Bürgerunruhen zwischen 1309 und 1315, die sich zunächst gegen die Domherren, eigentlich aber gegen den Erzbischof Burchart III. von Querfurt-Schraplau richteten und mit dessen Ermordung endeten. In der Literatur wird stets der Ratskeller als Ort der Mordtat genannt. Nach der Bluttat wurde Magdeburg vom Kaiser mit Bann und Reichsacht belegt – alle vom Kaiser bewilligten Pfründe und Privilegien gingen ihr für zwanzig Jahre verloren. Was daraufhin mit den Mördern geschah, wird nicht berichtet.

Streitigkeiten zwischen der Bürgerschaft und den Erzbischöfen waren nicht selten und daher Anlass für den Volksmund, so manche Sage zu erfinden. So mancher Erzbischof wurde in Sage und Volksmund verunglimpft, Themen gab es genug: Ungerechtigkeit, Scheinheiligkeit, Habgier, Trunksucht, Unzucht und mehr.

In Wirklichkeit ging es darum, wer die Macht in der Stadt hatte und wer sich im politischen Ränkespielen gegen wen durchsetzen konnte. Besonders perfide und beeindruckend aber ist die Ermordung des Erzbischofs. Andererseits sind Vorgänge dieser Art auch wiederum nicht so außergewöhnlich. Gibt es doch aus Köln vergleichbare Geschichten, wo die Erzbischöfe allerdings ihre Konflikte mit der Stadt überlebten. Die Johanniskirche hinter dem Rathaus hat für die Magdeburger Bürgerschaft aber gerade dadurch eine ganz besondere Bedeutung: zeugt sie doch als Ratskirche – lange vor der Reformation, die auch von hier ausging – von frühen Triumph der Bürger in der Auseinandersetzung mit dem Klerus.

(Quelle: Axel Kühling „Magdeburger Sagen“, Erster Teil, S. 24 (vgl. Schöppenchronik)

Die Sage vom Freundlichen Gesicht –
Große Münzgasse 13 (Grünearmstr. 17)

Hauszeichen „Zum freundlichen Gesicht“

Vor langer Zeit, als es in Magdeburg schon viele reiche Handelsherren gab, wohnte der Kaufmann Gottlob Ring mit seiner Frau Barbara in einem Haus an der Großen Münzgasse. Obwohl er reich war und ihr alles bieten konnte, schien sie unzufrieden und traurig. Der Kaufmann, der oft in Hamburg, Leipzig oder Nürnberg war, versuchte sie durch kostbare Geschenke zu erheitern, doch nie lächelte sie. Mit der Zeit schien sie immer trauriger zu werden, als ob eine unheilbare Schwermut sie bedrücke.

Da erzählte ihm sein Knecht, dass eine Bekannte in dem Ruf stehe, eine zu sein, die in dem Buch des Schicksals lesen könne. Und er ging hin, um sich dort bei ihr Rat zu holen. Sie war eine sogenannte kluge Frau aus dem einfachen Volk. Sie hieß ihn, sich niederzusetzen und kramte in geheimnisvollen Folianten, in denen sich die seltsamsten Zeichen befanden, und sprach geheimnisvoll:

„Ihr selbst habt es in Eurer Hand, die Wolken, die über Eurem ehelichen Hause hängen, zu verscheuchen, auf dass Euer Weib wieder ein freundliches Gesicht macht. Ihr heimlicher Wunsch ist es, ein schönes Haus mit kostbaren Möbeln zu haben. Freilich weiß sie selbst nicht, was mit ihr vorgeht, doch zu geeigneter Zeit wird sie es Euch wissen lassen.“

Als er entgegnete, dass sie doch ein schönes Haus hätten, dessen Ausstattung nichts zu wünschen übrig lasse, lachte die Alte:

„Nun, das Verlangen des Menschen ist oft wunderbar. Wartet nur ruhig die Zeit ab, so wird Euch ein Haus geboten werden, dass Euer Weib wieder glücklich macht.“

Der Kaufmann ging missgestimmt nach Hause, da sah seine Frau in ihrem Gemach am Fenster sitzen und nach dem neu gebauten Haus des Nachbarn Klaus hinüberschauen. Der war ein fremder Kaufmann. Es hieß, er handle mit Zauberwaren; seinen Laden, die Bauleute, vor allem aber den eigentlichen Baumeister des neuen Hauses hatte man noch nie zu Gesicht bekommen. Bald glaubte man, er wäre ein fremder Zauberkünstler. Hof und Garten waren den Blicken entzogen, das Innere des Hauses blieb verschlossen. Starr blickte die Hausfrau Barbara auf das Bauwerk.

Acht Tage verflossen, da erschien der Nachbar Klaus, um die Rings zur Einweihung einzuladen, doch zunächst zögerten sie. Als sie dann hörten, dass die vornehmsten und angesehensten Familien der Stadt kämen, mochten sie die Einladung zu dem Fest nicht ablehnen. Innen empfing sie eine Pracht, wie sie diese noch nie zuvor gesehen hatten: die Fußböden waren mit weichen orientalischen Teppichen ausgelegt und seltsame Zimmergerätschaften gab es darin. Die Wände schmückten große Spiegel, und fremdartige Blumen und Gewächse zierten Treppen und Gänge. Die Hausfrau Ring durchwandelte am Arm ihres Gemahls alle Räume, staunte und genoss alle Erfrischungen, die man ihnen in wunderlichen Tassen und Gläschen reichte; der Kaufmann frohlockte!

Am nächsten Tage fragte er sofort den Nachbarn, ob er ihm sein Haus wohl verkaufen wolle – doch der schlug rundweg ab, ganz stolz auf sein Grundstück. So wisse hier niemand zu bauen. Ring suchte in ganz Magdeburg so ein Haus, und wollte seine Gattin damit trösten, dass er ein neues Grundstück erwerben und ein ähnliches Haus bauen wollen – doch alle Mühe war umsonst. So ging das wochenlang und seine Frau wurde siech und elend.

Als der arme Kaufmann Ring wieder einmal abends an ihrem Krankenbett saß, klopfte es an die Tür. Davor stand der Nachbar mit einem kleinen Männlein, das er als den Baumeister seines Hauses vorstellte:

„Fragt nicht nach dem Grund meiner Absichten, aber ich werde schon morgen die Stadt verlassen. Ihr könnt mein Haus gern haben, wenn Ihr es noch wollt. Doch unter einer Bedingung: Gebt diesem Mann bis zu seinem Ende ein kleines Gemach und er wird Euch nie belästigen.“

Sofort willigte Kaufmann Ring ein und das Männchen wohnte dort zeit seines Lebens. Die Hausfrau aber lachte hell und machte fortan für immer ein freundliches Gesicht. Da ließ der Kaufmann vor Freude als Hauszeichen ein freundliches Gesicht an dem seltsamen Haus anbringen, er war froh, das Geschäft lief gut und schon bald fanden die Leute das Haus nicht mehr seltsam.

Quelle: Friedrich Hülße „Sagen der Stadt Magdeburg“, S. 299 – 306

Historisch-symbolischer Hintergrund:

Hauszeichen „Zur goldenen Sonne“

Diese Sage spielt in der Zeit des aufblühenden Fernhandels. Als ein möglicher Spielort der Sage mag das Haus „Zur goldenen Sonne“ oder auch „Zur Goldenen Blume“ – ein Brauhaus – gelten. Gebraut wurde hier nur vor 1631.

Später gab es hier einen Kaufmann, der mit einer schönen jungen Frau namens Barbara verheiratet war. Die Witwe Barbara vererbte es einem schon dort lebenden Schneider namens Ottoman(n) das Haus. Dieser baute sich ein neues Haus, dessen Bauweise Aufsehen erregte. Es lag allerdings in der Grünearmstraße 17.

Das Hauszeichen „Zum freundlichen Gesicht“ befindet sich jedoch in der Großen Münzgasse 13. Dieses Haus gehörte vor 1631 Ebeling Alemann und fiel dann an den Rat. Es gibt wenig Bezugspunkte zu den Personen der Sage, sehr wohl aber zum Grundstück, denn das war lange „ – … ohne Mauern und alle Leute trugen wie auf einen Lappenberg allen Unflat“. Der hatte sich nach dem 30-jährigen Krieg mächtig angesammelt, als die wüste Stätte dem Rat gehörte. Bürgermeister Otto Gericke ließ auf Platz räumen und hinter einer hohen Mauer einen Garten herrichten, denn sein Haus grenzte an diesen Garten an. So kann auch dieses Grundstück im Zusammenhang mit dem Inhalt der Sage gesehen werden. Da in der Sage ausdrücklich die Münzgasse genannt wird, liegt die Vermutung nahe, dass dem späteren Besitzer des Hauszeichens die Sage so gefallen hat, dass er sie mit seinem Haus verknüpfte. Vielleicht wurde das Hauszeichen in dem Schutt gefunden, der sich vor dem Bau des Hauses angesammelt hatte.

Zur Symbolik der Sage: An der Wende zur Neuzeit galt es, Fremdem gegenüber aufgeschlossen zu sein. Neugier und Sehnsucht nach Befreiung aus der Enge mag die junge Frau angetrieben haben. Bei aller Bewunderung gibt es noch immer die Angst vor Fremdem, neidische Nachbarn und die Gerüchteküche, ganz zu schweigen von leisem Aberglauben an Zauber und freundliche Heinzelmännchen. Was aber vor allem zählt, ist der gute Ruf.

(Quellen: Ernst Neubauer „Häuserbuch der Stadt Magdeburg, S. 163 und S. 323)

Die Sage von den eifersüchtigen Bauherren – Breiter Weg 30

So schön waren früher die Häuser am Breiten Weg (Nr. 174, 198, 30,29)

Es war die Zeit, als Magdeburg sich nach 1631 aus den Trümmern erhoben hatte und Handel und Wandel von neuem aufblühten. Damals lebten in am Breiten Wege nahe der Judengasse zum Sudenburger Tore hin zwei eng befreundete Handelsherren, die 1631 noch Knaben waren. Vom Glücke begünstigt, hatte sich jeder seit seiner Jugend durch rastloses Arbeiten ein schönes Vermögen erworben. Nun wollten sie sich statt der eilig hergestellten Häuser stattlichere Bauten im Stil der neuen Zeit errichten. Dazu nahm sich jeder einen tüchtigen Baumeister, wollte man doch wieder etwas gelten und – verschweigen wir es nicht – den Freund ein wenig neidisch machen.

Wie es so kommt, schlichen sich bald unter den Freunden der böse Neid und schlimme Zwietracht ein. Gleichzeitig begannen sie mit dem Bau ihrer Häuser. Anfangs kam man wohl noch zu dem Bauplatz des anderen; dann nur noch ab und zu, um zu spionieren, was der andere vorhatte – nur um den Freund zu übertrumpfen. Jeder trieb seine Bauleute an, ihren Fleiß zu verdoppeln, als gelte es, einen Wettkampf zu gewinnen.

Figur mit Fernglas hält Ausschau (Breiter Weg 30)

Man teilte seine Pläne dem anderen nicht mehr mit, denn immer wollte man der erste sein, der etwas noch nie Dagewesenes baute, ganz so als gelte es, den anderen zu überflügeln. Bald redete man nicht einmal mehr miteinander und wechselte die Straßenseite, wenn man sich begegnete. Schließlich starrte man nur noch missgünstig zum Nachbarn herüber – dazu benutzte jeder ein Fernrohr. Der Beobachtete kehrte dann dem Beobachter aus Verachtung nur den Rücken zu.

Dies wiederholte sich mehrere Male, bis sich die Leute schon darüber das Maul zerrissen. Dabei hätte jeder der Bauherren so gewünscht, dass man sein Haus bewundert hätte! Zum Hohn stellte der Erbauer des Hauses Breiter Weg 30 auf der Ecke der Vorderfront seines Hauses eine mit einem Fernrohr bewaffnete Steingestalt auf, wie man sie noch lange sehen konnte. Der andere, dessen Haus bald darauf fertig wurde, ließ eine Figur anbringen, die der anderen den Rücken zuwendete.

Der einstige Freundschaftsbund zwischen den jungen Handelsherren war lebenslang zerstört. Beide Figuren galten als Wahrzeichen einer durch den Hausbau zerstörten Freundschaft.

(Quelle: nach Friedrich Hülße „Sagen der Stadt Magdeburg“, S. 758 – 761)

Historischer Hintergrund:

Wann und zu welchem Zweck diese Haussage entstand – das bleibt Spekulation. Sie klingt ein wenig nach der Gelehrsamkeit des 19. Jahrhunderts. Alte Sagen­elemente fehlen ganz. In dieser skurrilen Kurzsage finden wir aber ganz typische Motive aus der Zeit nach der Zerstörung Magdeburgs: das Geplante, den Baueifer, die Neugier, den technischen Fortschritt – alles gekennzeichnet durch Pläne, das Sich-Herausstellen und Repräsentieren und die nagelneuen Fernrohre. Spürbar wird ein Getriebensein, das wohl die schnellere Lebensweise der Neuzeit ausdrückt.

Man hat zwar Erfolge, die der Erfolg erzeugt keineswegs Glück und Zufriedenheit, sondern nur Neid und Eifersucht. Die Freundschaft zwischen den Handelsherren und ihren Familien hätte so viel Frucht bringen können. Obwohl sonst die geplanten Fassaden Bewunderung erregt hätten, machte sich jetzt auch der Bürger – heute würde man sagen – durch die „Jagd nach Statussymbolen“ lächerlich. Daraus spricht nicht mehr das Mittelalter, dort protzte vor allem der Adel.

Es gab es in Magdeburg tatsächlich die in der Sage beschriebenen Giebelfiguren an den betreffenden Häusern, die heute leider verschwunden sind. An der Stelle Breiter Weg 30 sind nach 1945 noch diverse zerstörte Teile eines viel späteren Rokokoportals aufgefunden worden. Ein zeitlicher oder inhaltlicher Zusammenhang mit der Sage ist nicht erkennbar, da das entsprechende Haus der deutschen Spätrenaissance zuzuordnen wäre. Kühling vermutet, dass das andere Haus die Nr. 174 ist. Es könnte aber auch – so vermutet der Ausstellungsband „Der Breite Weg – Ein verlorenes Stadtbild“ (Stadtplanungsamt 69/2005) – der Breite Weg 198 sein.

Am Breiten Weg 30 stand das Brauhaus „Zum Goldenen Kreuz“, das zunächst einem Brauer und Viertelsherrn (eine Art Bürgermeister eines Stadtviertels) namens Hans Zeitz gehört. Das wüste Grundstück mit zwei Hinterstätten Tischlerstrasse 30 a und b wird 1642 für 611 Taler an einen Kaufmann verkauft. Kaufmann Stephan Lüdecke hat dort 1646 ein großes Haus gebaut, das er seiner Witwe und seinem Sohn vererbt. Sohn Melchiors Erben verkaufen es einem Verwandten für teures Geld – für immerhin 3650 Taler.

Das Haus Nr. 29 hat eine Barockfassade mit einem nachempfundenen Fries, der zwei entfernte, voneinander abgewandte Gestalten in wallenden Gewändern zeigt. Es wurde auch „zum Kleeblatt“ oder „Zu den drei Kleeblättern“ genannt. Ein verwittertes Hauszeichen wurde fälschlich als Kreuz gedeutet, soll aber ein Kleeblatt (= Symbol der Freundschaft) sein. Eine Reminiszenz? Hier wohnte laut Häuserbuch ein Melchior Teufel, dann ein Brauer, dessen Erben es verkaufen. Erst später hat hier ein sogenannter „Materialist“ gewohnt, was nichts anderes war als ein Händler von Baumaterialien. Das gegenüberliegende Haus überlassen wir hier der Spekulation, denn der Breite Weg hatte von 1945 sehr viele schöne Häuser.

(Quelle: nach Ernst Neubauer: Häuserbuch der Stadt Magdeburg, Band 12, S.36 und S. 37, nach Günter Hammerschmidt: Häuser mit Hauszeichen in der ehemaligen Stadt Magdeburg, S. 24, S. 57)

Die Sage von der Goldenen Axt – „Brauhaus zur Steinernen Bank“ –
Johannisberg 12 und Knochenhauerufer 8

Hauszeichen „Zur harten Bank“

Ein Haus an der Elbe, das in ältester Zeit das Brauhaus „Zur Steinernen Bank“ hieß, erhielt als Hauszeichen eine goldene Axt. Diese Axt symbolisierte etwas, das für Jahrhunderte wegen einer einmal begangenen Tat verflucht war: In jedem neuen Jahrhundert würden unschuldige Menschen zum Tode verurteilt oder umgebracht, ja manches würden gar zu Mördern. Das war der Flucht, der über der Axt lag. Erst, wenn eine unbescholtene Jungfrau eine andere tötete, wäre die Schuld gesühnt. Doch nicht nur das: Der letzte Besitzer des Hauses sollte aber ohne sein Zutun Gold im Überfluss erhalten.

Ein ehrlicher Brauknecht namens Wärwolf  – welche Unheil verheißender Name – bewohnte einst das Brauhaus „Zur steinernen Bank“ am Knochenhauerufer. Das Brauhaus gehörte den Mönchen des benachbarten Gertrudenkloster. Der Brauer bediente über lange Zeit alle Gäste und Käufer redlich. Eines Abends ging er in den Keller, um neues Bier zu holen. Da horchte er auf, vernahm menschliche Stimmen und sah kurz darauf einen Lichtstrahl durch einen Mauerspalt hindurchschimmern. In einem langen Gang hinter seiner Kellerwand sah er zwei Mönche mit Fackeln in der Hand. Was sie trieben, sah er nicht. Wärwolf vermutete Böses und brachte dies vor den Erzbischof, doch das wurde ihm nicht etwa gedankt, er erhielt vielmehr einen harschen Verweis – wer bist du schon, dass du es wagst! Und schon war die Klage ihres Brauknechts vor die Ohren der Mönche gekommen.

Eines Abends saß der Brauknecht im Garten auf seiner steinernen Bank, als ein Mönch vorbeikam, der in ihn drang mit der Forderung, die Anzeige gegen die Mönche zu widerrufen; es solle sein Schade nicht sein. Dabei winkte er mit einem Beutel voller Dukaten. Wärwolf verjagte den üblen Mönch, doch seine Rechtschaffenheit sollte Folgen haben. Bald erhielt er den erzbischöflichen Befehl, wegen Beleidigung der Mönche und Pfaffen sofort die Stadt zu verlassen. Täte er es nicht, würde er mit Weib und Kind gewaltsam entfernt. Als ein von der Kirche Geächteter lebte der so Vertriebene fortan zurückgezogen in einem Haus an der Elbe, von den Mitmenschen verlassen. Nur seine Tochter ging hin und wieder in die Stadt, wo sie bei einer Gesellschaft einen fremden jungen Maler kennen und lieben lernte. Dieser suchte auch bald das Häuschen an der Elbe auf, um bei alten Brauknecht um die Hand der Tochter zu bitten. Und sicher hätte sich alles zum Guten gewendet, wenn nicht etwas Furchtbares geschehen wäre:

Am nächsten Morgen nämlich fand man den blutigen Leichnam des Malers, daneben eine Axt, die sonst immer sichtbar im Hause des Brauknechts hing. Der Verdacht richtete sich schnell auf Wärwolf, der vergeblich seine Unschuld versicherte. Man schleppte ihn vor den Richter, der verurteilte ihn und übergab ihm dem Henker. Doch auf dem Richtplatz verfluchte der Brauknecht die Axt und er wurde gehenkt. Seitdem gab es die verfluchte Axt. Die Familie des Brauers geriet endgültig in Hunger und Not, denn niemand wagte sich in das angeblich verwunschene Brauhaus. Die Witwe und die Kinder waren von aller Welt ausgestoßen und wurde in der Stadt nicht mehr gesehen. Beherzte Bürger brachen dann aber doch das Haus auf, um nach dem Rechten zu sehen – in den Betten lagen die Leichen der Brauerswitwe und ihrer Kinder, verhungert. Gleich hieß es, Gott hätte die Familie wohl kaum gestraft, wäre die Familie nicht mitschuldig. Und der Erzbischof verbat, sie auf geweihtem Gelände zu bestatten.

Nachempfundenes Hauszeichen „Zur Axt“

Sie wurden dem Henker übergeben, dass er sie am Elbufer auf dem Schindanger verscharre. Dann geschah das Furchtbare und Gespenstische. Fischer berichteten, gräuliche Gestalten, seien dort herumgeschlichen. Deshalb ließ der Erzbischof an der Stelle, wo das Haus war, ein graues Steinkreuz errichten, in das man die von Wärwolf verfluchte Axt einmauerte, um die böse Tat zu erinnern. Doch das konnte den Fluch nicht brechen.

Die dunkle Sage war für ein Jahrhundert vergessen, bis Fischer am Elbufer unter einer Weide einen blutigen Leichnam fanden, im Stamm der Weide steckte eine seltsame Axt. Sie war aus einem Steinkreuz herausgerissen worden. Man fürchtete die Macht des Bösen und errichtete schnell eine Grabkapelle, um die sich aber niemand kümmerte. In der Gertrudenkapelle aber hörten die Menschen nachts Stimmen, Jammern und Wehklagen, sie sahen auch kurz einen Lichtstrahl aufblitzen. Die Kapelle wurde daher gemieden und sie verfiel.

Wieder hundert Jahre später ließ man die Kapelle niederreißen, um dort Häuser zu bauen; denn Magdeburg war bis an das Elbufer gewachsen. Für das verwunschene Grundstück fand sich lange Zeit kein Kauflustiger, bis ein fremder Zimmermann namens Wolf erschien, der in unruhigen Zeiten sein Hab und Gut verloren hatte und nun allein auf der Welt war. Er erwarb den Platz und baute sich mit zwei Handwerksgesellen ein Häuschen aus den Steinen der alten Kapelle. In einer Mauer steckte die verwunschene Axt, die noch neuwertig aussah. So trug er auch keine Bedenken, dieselbe zu benutzen. Ja, er staunte, was er mit dieser Axt alles vollbrachte, denn schon am Abend schien das Haus ihm fertig zu sein. Er ließ sie auf dem Bauplatz zurück.

Am nächsten Morgen erschien der Gerichtsbüttel, um ihn zu verhören – denn wieder hatte die Axt Unheil über jemanden gebracht. Einer seiner Handwerkskumpane hatte den anderen erschlagen und war geflüchtet. Wolf selbst aber hatte am Abend mit einem Bürger zusammengesessen, um über Bauholz zu verhandeln – der bescheinigte ihm die Unschuld. Man erinnerte sich des alten Fluches und die Axt wurde noch sorgfältiger eingemauert. Bald wurde das Haus „Zur Axt“ genannt.

Hundert Jahre später, an dem Tag des größten Unglücks für diese Stadt, am 10. Mai 1631, kam bei der Zerstörung des Hauses die Axt wieder frei und suchte sich erneut ihre Opfer. Zwei unbescholtene Bürgertöchter, die sich gegen die Gewalt der Soldaten zur Wehr setzen wollten, fanden die schwere Axt auf der Straße. Als sie aber rannten, fiel der einen die Axt aus der Hand und die hinter ihr laufende Jungfrau wurde davon zu Boden gestoßen und erschlagen. Augenblicklich zerfiel die Axt zu Staub und die Sühne des Fluches war endlich eingetreten. Nach der Katastrophe der Zerstörung der Stadt durch Tillys Soldaten baute sich der neue Besitzer am gleichen Ort ein stattliches Haus, konnte er doch hoffen, nun reich zu werden, ohne etwas dafür zu tun. So kam es, dass man später das Haus „Zur Goldenen Axt“ nannte.

(Quelle: Hülße, Seiten 255 – 266I)

Historisch-symbolischer Hintergrund:

Diese komplexe Sage zeichnet von der politisch-gesellschaftlichen Situation während der Jahrhunderte vor 1631 ein deutliches Bild. Mittelalterliches Rechtsempfinden, Glauben, Aberglauben, Verbannung sowie Fluch und Sühne sind zentrale Themen. In historischer Hinsicht fällt in dieser Sage die Vergrößerung Magdeburg und die Verknüpfung von Orten und Hauszeichen auf. Symbolisch wird im letzten Teil auf die Jungfrau Magdeburgs Bezug genommen – macht sie sich hier unschuldig schuldig und sühnt so manche Ungerechtigkeit?

Die Sage von der goldenen Waage –
Ratswaage, Jakobsstr. 18-23

Restaurierter Stiftungsstein der rauer- und Bäckerinnung – Ratswaageplatz 4

Im 14. Jahrhundert wohnte hier der Bäcker David Insleben, und sein Handwerk lief so gut, so dass er seinen Besitz täglich sich mehren sah. Je mehr er aber besaß, desto mehr wuchsen Geiz, Misstrauen, … und eine Eigenschaft, die ihm niemand zutraute, am wenigsten ahnte er es selbst: nämlich die Raffgier.

So kam es, dass er es mit erfinderischen Mitteln verstand, die strengen Verordnungen der Bäckerzunft zu umgehen und alle Nachforschungen zu verhindern. Das große Geheimnis war seine Waage; denn es waren für Brot und sonstige Esswaren genaue Gewichte vorgegeben, um die Kunden durch falsches Wiegen nicht zu betrügen – gerade das aber passierte.

Als eine Teuerung eintrat, wurde sein Verdienst auf diese Weise noch größer. Er war hartherzig geworden, kein Bitten und kein Betteln bewegte ihn, etwas billiger oder umsonst zu verkaufen. Er zählte die Ware Stück für Stück ab, und wehe, jemand verschenkte etwas. Die Leute hatte ihn so ungerührt nie gekannt, war er doch vorher einer der ihren gewesen, jetzt aber verwünschten sie ihn und nannten ihn einen Dieb und Wucherer. Doch was ging´s ihn an, niemand merkte ja etwas!

Matthias war der treueste und beste Geselle des Bäckermeister Inslebens. Matthias war zudem ein naher Verwandter und er lernte er fleißig, mehr, als üblich war. Nur wiegen durfte er nicht, das war dem Alten nicht recht. Matthias war ein hübscher und geschickter Bursche und schon seit Jahren im Hause. Der liebte die einzige Tochter des Meisters und hätte bei ihrem Vater gern um ihre Hand angehalten, doch der hätte ihn fortgejagt, war er nur ein armer Vetter und keine gute Partie. Denn Insleben war längst fest entschlossen, seine Tochter mit dem Sohn eines wohlhabenden Innungsgenossen zu vermählen.

Da ging Matthias´ Mutter mutig zu dem Alten, als Brautwerberin, angetan mit ihrem schönsten Festtagskleid; Insleben aber schenkte ihr kein Ohr und redete unablässig auf seine schluchzende Tochter ein. Schließlich herrschte er die Base an:

„Warum will dein Sohn, der Bettler, mir nicht selbst sagen, wozu schickt er seine Mutter? Reicht es ihm nicht, hier ein warmes Nest zu haben; will er sich wohl an meinem sauer erworbenen Geld gütlich tun?“

Auf diese Worte hin verwünschte sie ihren Verwandten vor Gott, und sagte ihm „wegen des Maßes“ noch ein schlimmes Ende voraus. Der Sohn würde das Sündengeld des Alten sowieso verschmähen. Darauf verließ sie ihn; zwei Wochen später auch Matthias.

Vor Kummer und Tränen stumm, saß die Tochter am Fenster; Insleben aber fragte sich, was die Base um sein Tun wirklich wusste. Ihre Worte lähmten ihn so, dass ihm träumte, er stürbe und müsse vor den himmlischen Richterstuhl treten. Immer wieder donnerten die strengen Worte des Erzengels, als man seine Seele auf einer Waage wog und ihr mit den Worten: „Für zu leicht befunden!“ den Himmel verwehrte. Da ging der armen Seele so wie dem Brot des Bäckers, und sicher wog hier auch die himmlische Waage falsch.

Schweißgebadet erwachte er und schaffte schon am Morgen eine neue Waage an. Dem Himmel gelobte er, seinen Geiz zu sühnen, den Armen reichlich zu geben und fortan richtig zu wiegen. Bald sprach die ganze Straße von der wunderbaren Veränderung. Seine Tochter gab er dem Matthias – denn der Herrgott hätte beschlossen, sie müssten wohl oder übel ein Paar werden.

Von Stund an merkte er, wie leicht ihm um´s Herz war und wie schwer nun sein gutes Gewissen wog. Als er alt war, übernahm der Schwiegersohn die Bäckerei. Die falsche Waage aber wurde vor dem Laden angebraucht als Warnung, sich ja vor ungerechtem Wägen zu hüten.

(Quelle: nach Friedrich Hülße, Seite 762 – 770)

Historischer Hintergrund:

An der Jacobstrasse 18 befand sich der Sage nach als Hauszeichen eine Waage. Die Nebenstrasse heißt auch Wagestrasse, dies ist in einer Urkunde schon für 1397 bezeugt.

Die alte Wagestrasse verband im Mittelalter das Bäckerviertel mit dem Weg zur Getreidemühle am späteren Wallonerberg. Die bäuerlich geprägte Umgebung hieß im Mittelalter auch Gosewinkel/Gänsewinkel oder Augustinerstrasse. Sie gehörte damals noch nicht zur inneren Stadt, sondern führte auf eine Mühle und auf das Augustinerkloster hin. Von der Zeit vor 1630 weiß man nichts Genaues. Meist lebten in der Wagestrasse wohl ganz einfache Leute.

Nach 1631 wird bei Ernst Neubauer „die Goldene Waage“ im Hause Jacobstr. 23 und 24 geortet (s.d., S.188); vermutlich wechselte das Hauszeichen an ein Haus, das früher „Der weiße Schwan“ hieß. Neubauer nennt das Hauszeichen „Zum Goldenen Ross“ für die Hausnr. 18. Im Dreißigjährigen Krieg starben dessen Besitzer, Erben gab es nicht. Danach wurde die mauerlose wüste Stätte wieder bebaut, erst kam ein Brauhaus, dann eine Apotheke mit einem heute unbekannten Hauszeichen – seit 1848 befand sich dort die Engel-Apotheke.

In der Jacobstrasse sind weder für das eine noch für das andere Haus Personen und Ereignisse der Sage nachweisbar. Die Sage trägt unverkennbar den Charakter der religiösen Fabel und mag daher aus dem 19. Jahrhundert stammen. Der Inhalt gemahnt aber an das Mittelalter. Allgemein üblich war die Verheiratung innerhalb der Innungen, denn so wurde der Reichtum gemehrt; genauso wichtig war aber das richtige Wiegen, damit der Frieden in der Bevölkerung erhalten blieb.

Nachempfundenes Hauszeichen „Zur goldenen Waage“

Der alte Stein mit dem Waage-Hauszeichen ist verschollen, er wurde 1960 zusammen mit dem Zeichen „Zur Axt“ nachempfunden und auf der Margarethenstraße nahe der Ratswaage für einige Jahre aufgestellt. Die Bäcker und die Brauer hatten eine große wirtschaftliche Bedeutung. Das reich ausgestattete Innungshaus befand sich bereits vor 1631 am Ratswageplatz 4; der Stiftungsstein stammt von 1657. Links oben sieht man das Wappen des Innungsmeisters Ebeling Caspar Alemann (Speigelbrücke 18). Das Haus diente um 1700 als Tagungsort des Rates. Heute ist es das Hotel „Zur Ratswaage“.

(Quellen: Ernst Neubauer “Häuser der Stadt Magdeburg“, S. 187, S. 188, S. 485, Günter Hammerschmidt: „Häuser mit Hauszeichen der ehemaligen Altstadt von Magdeburg“, S. 188 und S. 191)

Die Sage vom goldenen Apfel – Apfelstraße 9

Hauszeichen „Zum goldenen Apfel“

Vor langer Zeit lebte ein reicher Goldschmied namens Jesaia Ruhland in Magdeburg, der wegen seiner Kunstfertigkeit berühmt war. Doch seine Frau lag lange krank und starb früh, so dass er sein einziges Töchterchen bei einem Nonnenorden erziehen ließ. So lebte das Mädchen im Kloster, um zu lernen, einen eigenen Hausstand zu führen. Johanna aber wuchs zu einer schönen Jungfrau heran, die ihres Vaters ganzer Stolz war. Keiner der jungen Stadtherren wollte ihm und ihr gefallen.

Da kam der Kaiser nach Magdeburg zum Erzbischof, als auch Meister Ruhland anwesend war, um den hohen Herren seine Kleinodien zu zeigen. Der Kaiser, beeindruckt von der Kunstfertigkeit des Mannes, gab ihm den Auftrag, ein Kleinod mit einem strahlenden Glanz anzufertigen, nämlich einen goldenen Apfel. Er sollte es binnen Jahresfrist liefern und dann 5000 Goldgulden dafür erhalten.

Meister Ruhland machte sich sogleich ans Werk, aber die Frist war fast vorbei, und noch immer fehlte seinem Kunstwerk der letzte Glanz. Die Arbeit wollte ihm nicht gelingen wie sonst. Als der kaiserliche Bote erschien, sagte Ruhland, es noch zu überarbeiten und selbst an den Hof zu bringen.

Nach einer weiteren Frist kam der Bote mit der Nachricht, dass der Kaiser glaube, der Meister wäre kein Künstler und inzwischen zu alt, um weitere Schmuckstücke zu machen. Er, der Kaiser, verzichte auf die Arbeit. Ruhland war erbost über sich und sein Missgeschick, so dass er sich immer mehr zurückzog.

Da sagte Johanna halb im Scherz, sie würde sich wohl zutrauen, das Werk zu vollenden. Der Vater wollte ihr nicht glauben, doch sie ging geschickt an die Arbeit. Nach wenigen Tagen schon zeigte der goldene Apfel einen strahlenden Glanz und verlor ihn nicht. Das erfuhr die ganze Stadt und rasch kamen alle vorbei, um den wunderbaren Apfel aus der Nähe zu betrachten. Der Meister wunderte sich nicht schlecht über Johanna – vor allem aber, weil sie selbst so unzufrieden schien und keinen der neugierigen Stadtjunker sehen wollte.

Da erzählte Johanna ihm, dass ihr im Traum ein junger Mann in fremdländischer Kleidung erschienen sei, der ihr das letzte Geheimnis der Goldschmiedekunst verraten hätte, allerdings um den Preis, dass sie treu auf ihn warten müsse, damit sie ihm auf einem Schützenfest die Hand reiche. Wann dies wäre, verriet er nicht, nur, dass er der Sieger wäre. So würde sie ihn erkennen.

Jahre strichen ins Land, nie war der Fremdling erschienen, und Johannas Zuversicht geriet ins Wanken. Auf Anraten eines Mönches veranstaltete Meister Ruhland ein Schützenfest, bei dem er den goldenen Apfel als Lohn für den besten Schützen auslobte. Zunächst schien keiner den Wettkampf zu gewinnen, und Johanna meinte, ins Kloster gehen zu müssen. Doch plötzlich erschien ein fremder Junker in glänzendem Staat, und Johannas Augen ruhten nur auf ihm. Und was Wunder – er verfehlte das Ziel nicht, gewann den Preis und das Herz der Jungfrau.

Meister Ruhland gab ihm seine einzige Tochter. Noch in der Verlobungszeit ging der schöne Junker in seine Heimat, kehrte aber bald zurück. Mitgebracht hatte er ein Geheimnis, das im Hause fortan sorgfältig gehütet wurde. Johanna heiratete, übernahm erst erfolgreich die Goldschmiede-Werkstatt und zog später mit ihrem Mann in dessen ferne Heimat. Das Haus blieb im Besitz der Kinder, die zur Erinnerung an das Wunder einen vergoldeten Apfel am Giebel anbringen ließen.

(Quelle: Friedrich Hülße: Sagen der Stadt Magdeburg, Seite 287 – 298)

Historischer Hintergrund:

Brauhaus „Zum goldenen Apfel“, Apfelstraße 9

Die Apfelstraße, genannt nach dem Hause und Hauszeichen Apfelstraße Nr. 9, hieß in früheren Jahrhunderten Brandstraße. Dieser Name ist schon für das 16. Jahrhundert bezeugt, wurde aber bis in das 19. Jahrhundert – mindestens bis 1807 – benutzt. Vermutlich hatte hier einmal ein Brand gewütet, da benachbarte Straßen in früheren Epochen ähnliche Namen tragen; vgl. Himmelreichstrasse (früher: Auf dem Brande) oder Große Steinerne Tischstraße (früher Bern/Brandstraße). Das Brauhaus „Zum Goldenen Apfel“ wurde 1631 beschädigt, lange lebten darin ein Herr Heinrich Mittendorf und seine Frau. Erst der neue Besitzer, ein Herr Meineke, baut das Haus wieder schön auf. Es trägt die Wappensteine von ihm und seiner Frau. In diesem Haus soll angeblich das Lied vom Scharlatan Dr. Eisenbart entstanden sein, da an dieser Adresse ein gleichnamiger Chirurg wohnte.

(Quelle: nach Ernst Neubaue: Häuserbuch der Stadt Magdeburg, S. 1)

Die Sage vom goldenen Kopf oder zum Hühnernest –
Katharinenstraße 3

Illustration aus Konrad Botes „“Cronecken de Sassen“ (Sachsenchronik) 1492

Der Erzbischof Albrecht III., ständig in Hader und Streit mit den Magdeburgern, musste sein Amt niederlegen. Er ging in seine Heimat Böhmen zurück, nicht ohne eine weitere „Übeltat“ – denn er stahl eine besonders heilige Reliquie aus dem Dom, nämlich einen Splitter, eingefasst in ein Kreuz aus purem Gold. Mit schlechtem Gewissen und als reisender Kaufmann verkleidet, machte sich Albrecht davon. Furchtsam und misstrauisch, ob ihn die Magdeburger verfolgen würden, eilte er bis an die Landesgrenze und kehrte in einen Gasthof ein. Er legte das Kreuz in einen Kasten. Als er frühstückte, kamen Kriegsmänner in die Herberge, die erkannten in ihm den Erzbischof; sie redeten darauf ihn an, er verleugnete sich standhaft und wollte seiner Wege ziehen. Unheimlich war ihm zumute!

Kornhändler Martin Haupt, einer der reichsten Bürger Magdeburgs, bekannt wegen Geiz und Hartherzigkeit, war der Anführer. Er ließ sich nicht irreführen und sagte zum Erzbischof:

„Wer weiß, wessen Eigentum in dem Kästlein da steckt, etwa Reliquien aus unserem Dom? Zeigt mir den Inhalt dieses Kästleins, meine Macht ist größer, als Ihr denkt.“

Der Erzbischof zeigte ihm das Kreuz und bald wurden sie handelseinig, so dass der Erzbischof das Kreuz gegen Zahlung einer geringen Summe Geldes überließ. Haupt gab aber später an, viel mehr gezahlt zu haben. So hätte er für sich selbst ein gutes Geschäft gemacht, denn er forderte einen viel höheren Betrag von der Stadt zurück – allein er täuschte sich. Die Domherren konnten nämlich nicht so viel zahlen, waren doch Not und Teuerung in der Stadt.

Hauszeichen „Zum goldenen Kopf“

Daher behielt Haupt das Kreuz, bis man es ihm auf Heller und Pfennig bezahlen könne. Doch da lange nichts geschah, brach er den Splitter aus dem Goldkreuz. Das Kreuz wollte er einschmelzen und sich einen goldenen Kopf daraus machen lassen, hatte er doch gerade ein stattliches Haus gebaut und brauchte dafür eine Figur.

Der böhmische Schmied, der seinen Erzbischof ja nichts verraten wollte, sollte den Splitter als Lohn erhalten. Das eingeschmolzene Kreuz sollte – so der Auftrag Martin Haupts – das Ebenbild seines eigenen Kopfes werden. Als der Schmied es ablieferte, erregte es Staunen und Bewunderung; wie eitel doch der alte Geizhals wäre, und dass dies keinen Segen über das Haus brächte – war es doch kein Geheimnis, woher das Gold stammte.

Martin Haupt gab dem Goldschmied die Reliquie als Bezahlung. Das Korn ließ er in seinem Speicher, um es später teuer zu verkaufen – die Drohungen der Leute hörte er nicht. So versündigte er sich, und im Glauben der Leute haftete dem goldenen Kopf Zauber und Unheil an. Sogar sein Sohn bat ihn, den Leuten das Korn zu geben oder wenigstens zu einem bezahlbaren Preis zu verkaufen – vergebens. Der Vater ließ nicht einmal den goldenen Kopf vom Hause abnehmen.

So geschah eines Tages das Unvermeidliche: Bürger wurden zu wilden Gesellen und die Volksmenge, vor Wut rasend, vernichtete und zertrümmerte Martin Haupts Haus. Sie erschlugen Martin Haupt mit Knütteln, schleppten den Leichnam ans Fenster und warfen ihn auf die Straße, wo ihn die empörte Menge zerriss. Die Kornspeicher im Nebenhaus wurden geplündert, und als sein Sohn schließlich mit erzbischöflichen Rittern in schweren Waffen erschien, war es zu spät. In Magdeburg konnte der Sohn nicht bleiben; mit erzbischöflichem Geleit konnte auch er nur noch nach Böhmen fliehen. Doch immer wollte er in seine Heimatstadt zurückzukehren, um sich dort einen eigenen Namen zu machen als Paul Haupt. In Böhmen erlernte er das Kriegshandwerk und wurde zum Ritter vom Haupte geschlagen. Das Mädchen, das ihn nach einer Verwundung pflegte und das er in Böhmen lieben lernte, machte ihm auf der Rückreise ein Geständnis – war sie doch die Tochter des Goldschmieds und die Spielgefährtin aus Kindertagen.

Sie schenkte ihm ein unscheinbares schwarzes Kreuz, in das die Reliquie eingearbeitet war. Es wurde für den jungen Haupt zum Schlüssel für das Herz der Magdeburger. Das Mädchen hatte den Splitter von ihrem Vater als Erbe bekommen und hielt ihn bis dahin in einem einfachen Hühnernest verborgen. Der junge Haupt schenkte seiner Frau ein Haus und brachte als Hauszeichen ein Hühnernest an.

(Quellen: nach Friedrich Hülße: Magdeburger Sagen, Seite 267 – 286; nach Günther Hammerschmidt: Häuser mit Hauszeichen in der ehemaligen Altstadt von Magdeburg, S. 41)

Historischer Hintergrund:

Interessant sind die häufigen Streitigkeiten der Stadt mit den Erzbischöfen und das Selbstbewusstsein der Bürger, das sich auch darin zeigte, dass sich viele von ihnen – nicht nur die Patrizier – Wappen machen ließen und „rittermäßig“ wurde. Bürger gingen aber auch nicht gerade zimperlich um mit den Patriziern, also ihren eigenen Ratsherren.

Die Sage mit dem Motiv des Wucherers, der seine Strafe erhält – sei es nun ein Mann der Kirche, einer vom Rat oder ein Wucherer y<- ist in vielen Versionen bekannt. Historisch belegt ist sie für diese Häuser nicht, ganz zu schweigen davon, dass hier eine Familie Haupt wohnte.

Es handelt sich um zwei benachbarte Brauhäuser in der Katharinenstraße Nummer 3a („Zum Hühnernest“) und Nummer 5 („Zum Goldenen Kopf“); bei dem letzteren befindet sich noch der Hausstein. Die Katharinenstraße liegt im Viertel der Bäcker und Brauer; darum wohl ist die Zahl der Back- und Brauhäuser hier so hoch. Haus Nr. 3a ist das „Hühnernest“, eine lange im Besitz von Brauern befindliche Eckkneipe. Erst 1683 wird sie als wüste Stätte von Anna Sophie Alemann, die wohl Erbin war, an den tüchtigen Sattler Jakob Schmidt verkauft. Der kauft die Nummer 3 b hinzu und errichtet bis 1688 wieder eine Braustätte.

Um den „Goldenen Kopf“, Haus Nr. 5, rankten sich nach der Zerstörung der Stadt Rechtsstreitigkeiten zwischen dem armen Futterschneider Henning Pentz und dem Sohn eines Seidenmachers. Es ging um Trümmerstellen und Soldatenhütten, und zwar jede im Wert von 3 Talern, was selbst für jene Zeit wenig war! Dann kommt das Haus in den Besitz eines dänischen Oberstleutnants, der ein dort großes Haus baut. Dann gehört das Grundstück einem Lohgerber, der wieder das Braurecht erwirbt. Nach 1694 wird das Haus für 1800 Taler weiterverkauft.

(Quelle: Ernst Neubauer: Magdeburger Häuserbuch, S. 226 f.)

Die Sage vom goldenen Schiff – Packhofstraße 1

Hauszeichen „Zum goldenen Schiff“

Die Sage führt uns in das 13. Jahrhundert. Es war am Tage des jüdischen Laubhüttenfestes 1261, als der Domherr Ritter von Stein, von dem es hieß, er hätte auch ein Herz aus Stein, an der Elbe entlang ritt, wo ein armes Häuflein Juden wohnte – auch ein Jude mit seiner kleinen Tochter. Sein Haus brannte lichterloh und das Mädchen kniete neben dem sterbenden Vater.

Den Ritter ergriff Mitleid, ein seltsames Gefühle, das er sonst nicht kannte. Er schüttelte seinen Kopf, mochte er doch nicht glauben, was sein Erzbischof Ruprecht behauptete, die Juden hätten Christenmenschen verdorben und die christliche Religion verhöhnt.

Reiche Juden – das wusste der Ritter – wurden mit maßlos hohen Abgaben belegt und, wenn sie diese nicht zahlen konnten, in den Kerker geworfen. Ärmere Juden wurden vertrieben oder getötet, ihre dürftigen Häuser an der Elbe aber geplündert. So wohl auch hier.

Da lenkte der Ritter sein Pferd zu dem Sterbenden hin, kniete neben ihm nieder und versprach ihm, das kleine Mädchen an Kindes Statt aufzunehmen. Der Jude murmelte noch etwas und verschied mit dankbarem Lächeln auf dem Gesicht. Der Ritter von Stein setzte das jammernde Kind mit den großen dunklen Augen vor sich auf sein Pferd und ritt zu seiner Burg, die im Innern der Stadt lag. Seinen Dienstmannen gebot er, dem Mädchen einen Raum zum Schlafen herzurichten und es neu zu kleiden. Alles Weitere würde er demnächst bestimmen. So wuchs sie zusammen mit den vier Söhnen des Ritters heran und erhielt – mit Erlaubnis der Erzbischofs – die christliche Taufe, und sie erhielt den Namen Maria.

Maria wuchs zu einer wunderschönen Jungfrau heran – aber nicht ein einziger Freier wollte bei dem Ritter von Stein um ihre Hand anhalten, wurde doch in der Stadt gemunkelt, dass Maria in Wahrheit Jüdin sei und der Ritter selbst kaum ein erkleckliches Erbe hinterlassen würde außer vier Söhnen und einer verschuldeten Burg. Georg, der älteste Sohn des Ritters, sah dies nicht ungern, hatte ihn doch mehr als nur geschwisterliche Liebe zu Maria ergriffen. Bald hatten sich beider Herzen gefunden, doch selbst der Vater hätte niemals eingewilligt, wenn sein Sohn Maria als Gemahlin heimführen würde.

Endlich tauchte ein fremder Ritter auf, der dem alten Stein vorgab, der Herzog von Bayern zu sein, und die beiden leerten zusammen manchen Humpen Bier – bis der Alte einwilligte, seine Tochter dem fremden Ritter zu geben; in Wahrheit war der nur auf die Mitgift erpicht. Maria, die den Handel hinter einem Vorhang angehört hatte, floh mit ihrem Georg voller Angst an die Elbe; und sie liefen und liefen, fest entschlossen, ohne Abschied zu nehmen, das so liebgewordene Vaterhaus zu verlassen.

Bei anbrechender Nacht gelangten sie in ein verlassenes Haus an der Elbe, von dem es hieß, es wäre aus den alten Planken eines Fischerbootes gemacht, aber verwunschen: Jedes Jahr am Tage des Laubhüttenfestes seien Schreie und Waffengetöse zu hören. Hier wollten sie Unterschlupf nehmen, waren sie sich doch sicher, dass keiner sie in dieser ärmlichen Gegend suchen würde. Um Mitternacht aber begann es zu spuken: Lichter flackerten auf, die Schatten von bewaffneten Männern auf Pferden, Waffen und Fackeln in der Hand ritten in die Hütte hinein, dass beiden der Atem stockte. Die Schatten der Männer schienen im Zimmer etwas zu suchen, warfen alles durcheinander und schrien, als suchten sie noch nach einem Flüchtling; doch deutlich hörten Georg und Maria auf der anderen Seite erst ein Pochen unter den Planken des Bodens, dann die wimmernde Stimme eines kleinen Kindes. Von Mitleid ergriffen, verbargen sie das zitternde Kind vor den Schatten, die sich bald darauf in Rauch auflösten, und liefen zur väterlichen Burg zurück.

Georg und Maria brachten das Kind vor den alten Ritter von Stein, der gleich sah, dass es ein jüdisches Mädchen war, dass es eine wertvolle Armspange trug, vor allem aber, wie sehr Maria und Georg es liebten. Da gab er zur Hochzeit der beiden seinen väterlichen Segen. Um die Schulden zu tilgen und um den drei anderen Brüdern ein kleines Erbe zu belassen, sollte die schöne Burg in der Magdeburger Innenstadt verkauft werden.

Das ärmliche Haus an der Elbe wurde für die junge Familie, so gut es eben ging, hergerichtet. Bei den Umbauarbeiten aber fand man unter den Fußbodenplanken einen großen Goldschatz, der von dem einstigen Besitzer wohl verborgen worden war: Juwelen und Dukaten, die in den schon morschen Planken steckten. Dieser Schatz gehörte nun rechtmäßig Maria, die damit die Schulden des alten Ritters tilgte, so dass er sein Lebensende in seiner Burg beschließen konnte. Über der Tür des Hauses an der Elbe wurde zum Andenken an dieses Ereignis ein Goldenes Schiff angebracht – so wie es damalige Sitte war.

Die Sage aber und ihr eigentlicher Sinn gingen viel zu schnell verloren.

(Quelle: Fr. Hülße: Sagen der Stadt Magdeburg, S. 125 – 149)

Historischer Hintergrund:

Die Sage „Vom Goldenen Schiff“ erinnert an eine dunkle Seite in der Geschichte Magdeburgs, nämlich an die grausamen Judenverfolgungen im Mittelalter.

1215 sprach das 4. Laterankonzil unter Papst Innozenz III das „jüdische Volk“ insgesamt schuldig und in der Folge war es leicht, alle Juden als Christusmörder zu behandeln. Sie mussten fortan für ihren Schutz und ihr Aufenthaltsrecht zahlen, die Erzbischöfe gewährten gegen Geld Schutz, ein Geschäft, an dem sich auch der Rat der Altstadt beteiligte. Die Juden mussten sie mit ihren Familien in der Vorstadt Sudenburg im Judendorf leben.

Das Hauptgeschäft der jüdischen Gemeinde war der Geldverleih. Das Erzstift hatte, da jüdische Geldverleiher den Domherren  Kredit gaben, bald hohe Schulden. Schlimmer war diese Situation aber noch für die kleinen Kreditnehmer in der breiten Bevölkerung, so dass die Stimmung für Hass und Pogrome fast immer einen guten Nährboden fand, insbesondere in Pestzeiten, wo Schuldige und Verursacher des Übels oft in den „Ungläubigen“ und bei den „Christusmördern“ gesucht wurden.

Ab 1400 durften sich Juden in der Passionszeit ihr Dorf nicht verlassen und schon gar nicht die Altstadt betreten. Die Christen durften keine jüdischen Ärzte aufsuchen und ab 1410 – das Kreditwesen war immer mehr in die Hände der Venezianer, der Fugger aber auch der Stadtpatrizier übergegangen – begann eine Welle der vollständigen Vertreibung der jüdischen Bevölkerung in Richtung Osten.

Zunächst hielt er Rat für Magdeburg diese Entwicklung noch auf, da die Ratsherren, so berichtet Asmus, „um ihre an Juden versetzten Pfänder fürchteten“, also wohl insbesondere um ihren Lehnsbesitz. 1451 und 1453 predigten Nikolaus von Kues und Johann Capistranus auch gegen die Juden, die zu bekehren oder zu beseitigen seien. Kardinal Nikolaus führte den Zwang zur äußerlichen Kenntlichmachung der Menschen jüdischen Glaubens ein. Capistran predigte das Recht, Juden zu foltern und zu verbrennen.

Doch die Pogromstimmung in Teilen des Klerus und der Bevölkerung wurde von den Erzbischöfen nicht unbedingt geteilt. Johann von Bayern, ein sehr gebildeter Erzbischof erweiterte 1466 sogar die Recht der Juden und Erzbischof Ernst von Sachsen, beharrte insbesondere auf den verbrieften Status „seiner Schutzjuden“, von denen einige zu seinen Beratern und Geldgebern gehörten. Doch er konnte diese Linie nicht lange durchhalten.

60 Gesellen, die mit den Franziskanern eine Brüderschaft bildeten, griffen im Frühjahr 1492 jüdische Händler und Wechsler an. Auf dem Neuen Markt am Dom wurde ein Händler getötet und der Möllenvogt des Erzbischofs schickte seine Leute zum Schutz der Händler. Der Rat der Altstadt scheint diese Unruhen genutzt zu haben, um den Verhandlungsdruck auf den Erzbischof zu erhöhen. Es gab weitere antijüdische Aktionen von Altstädtern, den der Rat nicht entgegentrat, die er zumindest duldete, wenn er sich nicht sogar schürte. Asmus schreibt: „Erst dadurch, dass der Altstadt-Rat die antijüdischen Aktionen der mit den Franziskanern verbrüderten Gesellen nicht bremste, entfaltete sich eine viele Monate anhaltende Progromstimmung.“

Ende April 1493 ordnete der Erzbischof Ernst schließlich die vollständige Vertreibung der Bewohner des Judendorfes an, allerdings wurde diese „Umsiedlung“ in Magdeburg in mehr oder weniger „geordneter“ Weise durchgeführt. Das Eigentum durfte zuvor verkauft und Kredite durften sofort eingefordert werden, was allerdings unter dem Zeitdruck für die Ärmeren vermutlich nicht besonders viel bedeutete. Immerhin übernahm der Erzbischof am 2. Mai Häuser und Grundstücke gegen einen Abstand, den 30 Familienvorstände quittierten. Der Erzbischof übergab das Land und die Gebäude danach dem Kloster Berge und dem Rat von Sudenburg gegen eine jährliche Gebühr von 65 rheinischen Gulden als Ersatz für die jetzt fehlenden jährlichen Schutzgelder. Durch Neuansiedlung von Handwerkern das Judendorf zum Sudenburger Stadtteil Mariendorf.

Asmus beendet diesen Bericht so:

„Die älteste und größte jüdische Siedlung in Nord- und Mitteldeutschland war nach fünfhundertjähriger Existenz ausgelöscht worden. Es dauerte 200 Jahre, bis sich wieder einzelne Juden in Magdeburg niederließen.“

Nicht nur Domherren und Ritterschaft glaubten also allzu gern, dass aller Reichtum, den sich die Juden angeblich unrechtmäßig erworben oder „zusammengehökert“ hatten, wieder neu unter die „Ehrlichen“ und „Rechthabenden“, unter die „Ehrbaren“ verteilt werden müsse – eine Handlungsweise, die die Erzbischöfe durch ihre Judenpolitik und ihre Geldgier erst in dieser Form möglich machten, da Menschen, die durch Ghettos und Kleidung als etwas „Besonderes“ gekennzeichnet und durch die Kennzeichnung „ausgesondert“ werden, ja viel leichter zum Opfer von Ausgrenzung, Hass, Gewalt und Vertreibung werden.

Das Hauszeichen „Zum Goldenen Schiff“ legt von den Judenverfolgungen nur indirekt Zeugnis ab. Der Packhof war der Ort, an dem die Waren la     gerten, die über die Elbe in die Stadt kam oder von dort weiter verfrachtet wurde. Direkt daneben liegt der Kaufhof, der Ort, über den wohl das lief, was wir heute Großhandel nennen. Später diente das Haus immerhin als Gastwirtschaft zur Armenspeisung!

(Quelle: Helmut Asmus, 1200 Jahre Magdeburg, Magdeburg 2000, S. 408ff)

Die Sage von David – ein Magdeburger dem Donar geopfert –
Leiterstraße 2

Hauszeichen „Zum kleinen David“

Wir schreiben das Jahr 1260: Als der Deutschritterorden im Rahmen der Ostkolonisation seine Züge gegen die heidnischen Preußen begann, wurden nicht nur Ritter und Adlige, sondern alle Bewohner des Erzstiftes Magdeburg durch den Papst zum Kampf gegen die Heiden aufgerufen. Den Deutschherren kamen so auch die Magdeburger Bürger zu Hilfe. Da sie zu jener frühen Zeit kaum bewaffnet waren, fühlten sie sich wie David, der gegen Goliath in den Kampf ziehen muss. In jener Zeit entstanden in vielen Städten David-Reliefs an öffentlichen Gebäuden. Die Geschichtsbücher berichten von mancher Heldentat der Magdeburger.

Ging es dem Papst um die Ausbreitung des Christentums und seiner Macht, so lagen den Magdeburgern ihre alltägliche Versorgungs- und Sicherheitsinteressen näher. Um sich vor den Kampfzügen zu besprechen, trafen sie sich in den Brauhäusern, so auch im Brauhaus Zum kleinen David in der Leiterstraße 2. Heute findet man dort das Theater Magdeburger Zwickmühle. Der kleine David wurde zum Sinnbild für den Siegeswillen der Bürger und für den Glauben an einen Sieg über die „Ureinwohner“. Die fußhohe Sandsteinfigur in der Leiterstraße, die Wolfgang Roßdeutscher 1990 nachbildete, schaut so mit gutem Grund nach Osten.

Die Preußen wehrten sich gegen den Ansturm der Deutschritter und der Papstkrieger auf das Tapferste, unterlagen aber Stamm für Stamm, und die meisten zogen sich bis weit in die Wälder zurück. Manche Familien ließen ihre Söhne zum Schein taufen – bis sie die Sieger in Sicherheit gewiegt hatten. In Magdeburg selbst erzogen die geistlichen Domherren junge Preußen, gaben sie in vornehme Familien, um sie christliche Tugenden zu lehren. So erzog die alte Familie Hirtzhals einen jungen Mann mit Namen Heinrich (Herkus), der das bequeme Haus nur ungern verließ, um zu seiner Familie und den Preußen zurückzukehren.

Kaum angekommen, wandte er sich aber – wie auch anderen „umerzogene“ Edle – vom Christentum ab. Die Liebe zur Freiheit und die Not, in der das eigene einfache Volk leben musste, stimmten sie schnell um. Heidnische Opferpriester schworen, dass die Stunde der Rache gekommen sei. Es kam es zu einem gewaltigen Aufstand. Im Jahre 1261 erlitten die Ordensritter eine schwere Niederlage gegen die Preußen. Eine große Anzahl der Ritter war im Kampf gefallen, aber noch bitterer war das Los, lebend in die Hände der Feinde zu fallen.

Es geschah, dass die Gefangenen mit ihren Leibern an Bäume genagelt wurden und mit Peitschenhieben um den Stamm getrieben wurden, bis sie tot zusammenbrachen, so erzählt es die Sage.

Unter den gefangenen Magdeburgern befand sich ein Mitglied der Familie Hirtzhals, von denen der preußische Anführer Herkus so viel Gutes erfahren hatte; ja, er als ältester der Hirtzhals-Söhne kannte er Herkus gut, er war oft der Tischgenosse des Herkus gewesen.

Doch es stand nicht in Herkus´ Macht, den Magdeburger Jugendfreund zu retten. Er durfte es vor den Augen seines Volkes und der Priester nicht wagen, ihn zu erretten – so sehr er es vielleicht auch wünschen mochte. Weil Hirtzhals allerdings der Anführer der Magdeburger war, musste er nicht wie die anderen sterben. Er sollte geopfert werden oder durch das Los die Freiheit gewinnen – so war es Sitte bei den Preußen. Da hoffte Herkus, dem Jugendfreund durch das Los die Freiheit schenken zu können – doch dreimal zog Hirtzhals das Todeslos.

Der Magdeburger Bürger weigerte sich nicht länger, sein Schicksal anzunehmen. wurde nach Sitte der Preußen dem Feuergott Donar geopfert. Er betrat einen hohen Scheiterhaufen und wurde verbrannt. Seine Asche wurde zur Warnung nach Magdeburg gesandt.

(Quelle: nach Friedrich Hülße, S. 619 – 623)

Historisch- symbolischer Hintergrund:

Die Leiterstraße trennte den Dombezirk von der Altstadt im engen Sinn, von dem Teil der Stadt, den der Rat kontrollierte. Sie hat ihren Namen nie gewechselt, doch lautet ihre alte Form „Lederstraße“. Der Name mag auf einer schon im Mittelalter durch eine einfache Verwechselung entstanden sein zwischen „dat ledder“ (=Leder) mit „die ledder“ (=Leiter). Ab 1275 kommt sie in Urkunden vor. Was der Anlasse für diesen Namen war, ist nicht überliefert. Der Ledermarkt mit dem Innungshaus der Gerber befindet sich nach Ernst Neubauer beim Alter Markt, da zu jener Zeit nur dort und an der Jacobikirche Märkte abgehalten werden durften. Ein Markt am Südrand der Altstadt würde „ganz aus dem Rahmen fallen“.

Die Straße hat nebenbei auch den Namen „Auf dem Brande“ geführt; ebenso wie bei der Himmelreichstraße wird spekuliert, dass ein Brand Anlaß zu jener Namensgebung war. Er zitiert einen Herrn Hoffmann, der den Ledermarkt bei dem Grundstück Alter Markt 25 annimmt. Weiterhin zitiert er einen Herrn Hertel, der den Ledermarkt bei den unsichereren Straßen ansiedelt. Ein Ritter Brand war Schöffe zu Magdeburg und bewohnte das Haus Leiterstraße 15, sein Haus war vielleicht erzbischöfliches Eigentum. Zu einem Schöffen namens Brand wird nichts erwähnt, da die Häuser Leiterstraße 12 – 19 zur Stiftsfreiheit gehörten.

Ob die Straße ihren Nebennamen nach dieser adeligen Familie führt, nach dem Schwert (=Brand) des Hirtzhals, oder gar nach dem Brand in den Kehlen (=Durst), der die Leute in die Brauhäuser treibt oder nach einer der vielen Stadtbrände des Mittelalters, wie oft behauptet wird, das überlasse ich der individuellen Phantasie. Das Häuserbuch kann nur ab 1631 informieren, da aus früheren Zeiten Urkunden und Dokumente verloren sind. In zweiten Band des Häuserbuches wird in der Leiterstrasse 15 als Eigentümer des Brandt´schen Hofes Benno Brandt von Lindau (1571-1625) erwähnt. War wer ein Nachfahre des zuvor genannten Schöffen?

In älteren Akten bezeichnet man mit dem „kleinen David“ die Häuser in der Leiterstraße 1b bis 4. Diese Häuser waren gute Brauhäuser für Kaufleute und Bewohner des Erzstiftes. Die Figur des Goliath soll am Haus gegenüber gestanden haben; doch wie sie aussah, weiß man nicht mehr. Die Hirtzhals´ waren also Brauer, die in der Leiterstraße Braustätten besaßen.

Hauseingang Ecke Leiterstraße/Breiter Weg. Die beiden Riesen erinnerten uns an die Erzählung von David und Goliath

Zur Symbolik: David gilt als das Schutzsymbol der Kaufleute und der Gewandschneider, die sich gern als Gewinner sehen wollten. Den Goliath setzten sie mit den räuberischen Heiden gleich, denn er war ein heidnischer Philister. Der David ist im Mittelalter ein häufig gebrauchtes Hauszeichen – so auch in Magdeburg. In der mittelalterlichen Kunst ist David die Symbolfigur für Tugend, Tapferkeit und christliche Gesinnung.

(Quellen: nach Günther Hammerschmidt: Häuser mit Hauszeichen in der ehemaligen Altstadt von Magdeburg, S. 43, nach Informationen aus der „Chronik der Herrschaft Wiesenburg“, S .31 und S. 39, sowie nach Informationen aus dem Internet zu Ernst Neubauer „Magdeburger Häuserbuch Band II.“, o. S.)

Die Sage vom weißen Pferd –
Breiter Weg 19 (Domfreiheit)

Hauszeichen „Zum weißen Pferd“

Das soll sich im Jahre 1611 im Hause des Domherrn Heinrich von der Asseburg abgespielt haben – no  ch lange erzählte man sich im Magdeburger Volksmund darüber und gab dem Hause den Namen: Das weiße Pferd. Auf einem Bildnis der Asseburgischen Familie sind der Domherr mit frischer sowie seine Frau Sophie und sein Kind mit auffallend bleicher Gesichtsfarbe dargestellt, so dass man an der Richtigkeit des Volksmundes kaum zweifeln kann.

Der Domherr war mit seiner jungen Frau Sophie verheiratet, lange Zeit, ohne ein Kind zu haben. Hatte sie doch vor der Eheschließung ein weißes Pferd besessen, und wie es Brauch war, hatte man von ihr verlangt, das Pferd wegzugeben. Stumm fügte sie sich in ihr Geschick und ließ das Pferd zurück. Als sie ihr erstes Kind erwartete, freute sie sich darauf – gäbe ein Kind ihrem Leben einen Sinn und würde es die Liebe zu ihrem Manne festigen. Doch das Schicksal bestimmte, dass sie bei der Geburt starb, das kleine Mädchen aber überlebte.

Man trug das Kind fort in das Vaterhaus, sie selbst aber schaffte man in die Familiengruft und tat sie mit all ihren Geschmeiden und ihrer prächtigsten Kleidung in einen Sarg, wo die der Sitte nach drei Tage liegen musste, ehe man sie bestattete.

In der Nacht kam ein habgieriger Totengräber in die Gruft, um der Toten ihren Schmuck zu rauben. Als er ihr den Ring vom Finger ziehen wollte und an ihr zerrte, erwachte sie. Denn sie war nur scheintot gewesen und sah nun mit Grausen, wo sie sich befand. Warum lebte sie, und wo war ihr Kind? Der Totengräber eilte wie von Teufeln getrieben davon.

Voller Angst kehrte sie in das Haus ihres Mannes zurück und klopfte an das Tor. Bedienstete, die dem Mann von ihrer wunderbaren Rückkehr berichteten, wurden vom Domherrn als törichte Träumer verlacht

„So wenig mein Leibroß aus dem Stalle zur Treppe heraufkommen und oben aus den Fenstern des Dachbodens herausschauen kann, so wenig wird meine Gattin jemals wieder dem Grabe entsteigen und in mein Haus kommen.“

Doch schon trappelte es auf der Treppe, dann sah tatsächlich ein Pferdekopf aus der Dachluke und wieherte laut. Da erschien Sophie wankend und erschöpft, und die beiden Gatten fielen sich glücklich in die Arme. Zur Erinnerung an dieses wunderbare Ereignis ließ der Domherr über der Tür seines Hauses einen steinernen Pferdekopf anbringen.

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Eine ältere Version der Sage berichtet, dass der Mann sich schon rasch mit einer neuen Frau verheiraten wollte – ohne die Trauerzeit abzuwarten. Da soll die erste Frau vor der Hochzeitsgesellschaft als weiße Frau erschienen sein, um nach ihrem verwaisten Kind zu sehen. Dann kam sie noch zwei Male und zuletzt soll sie ihr Kind mit sich genommen haben. Man will sie danach in der Kirche St. Mariä und dem Nonnenkloster Unserer Lieben Frauen gesehen haben. Die Sache mit dem Pferdekopf ist dieser ältesten Version unbekannt.

Nach der jüngsten Version aber schrie ein weißer Pferdekopf die Schande zur Dachluke auf die Straße hinaus, dass alle Leute hinaufsahen – da sah man eine Mutter im Totenkleid mit ihrem Kind auf einem weißen Pferd aus der Dachluke gen Himmel fliegen.

(Quelle: auch Hülße, S. 411 – 416)

Symbolischer Hintergrund:

Die Sage hat mehrfache Bearbeitungen gefunden, die die Moralbegriffe jener Zeit widerspiegeln. Sie taucht in anderen Städten in ähnlichen Haussagen auf, die aber jüngeren Datums sind. Symbole wie `die Frau, die sich ihr Kind holt´ und das `wundersame Pferd´ haben Eingang in die Hausmärchen der Brüder Grimm gefunden, nämlich in die Märchen „Brüderlein und Schwesterlein“ und „Fallada“.

Das Pferd steht symbolisch für Freiheit und Liebe; der Verlust des Pferdes für die Fügsamkeit der Frau, wie sie damals üblich war. Die Farbe „weiß“ wird hierzulande mit Unschuld und Reinheit gleichgesetzt. Die „weiße Frau“ aber steht symbolisch zum einen für die Rächerin, zum anderen für die Schicksalskünderin. Im ausgehenden Mittelalter besonders bedeutsam war wohl die Kränkung der Hausfrau.

Sage um Otto von Guerickes verschwundene Gebeine – Johanniskirche

Über Otto von Guerickes Leben und Werk wurde und wird viel an anderer Stelle berichtet, ist er doch der berühmte Sohn der Stadt – aber besonders merkwürdig scheinen mir die Umstände seines Todes, der nach Herrn Kühlings Vermutung vielleicht bald der Ausgangspunkt für eine neue Stadtsage sein könnte.

Guericke war zunächst mit Margarethe Alemann verheiratet, nach deren Tod ehelichte er Dorothea Lentke. Als Sohn einer alten Ratsfamilie saß er ab 1626 im Rat der Altstadt, Er widmete sein Vermögen und sein Genie aber auch der Wissenschaft (Magdeburger Halbkugeln), betätigte sich als praktischer Erfinder (Luftpumpe) und stand auch als Ingenieur in städtischen Diensten.

Kühling erzählt auf sagenhafte Art vom Ableben des wichtigsten Helden der Stadt etwa so:

Nachdem Otto von Guericke am 11. Mai 1686 in Hamburg wohl bei seinem Sohn gestorben war, sollte der Tote zunächst in eine vorbereitete Gruft in der Magdeburger Ulrichskirche überführt werden. Doch da die Stadt gerade wieder einmal belagert wurde, ist es umstritten, ob die Überführung stattgefunden hat oder nicht. Sein Sohn soll jedenfalls diese Überführung im gleichen Jahre veranlasst haben. Aus welchen Umständen auch immer fanden Guerickes sterbliche Überreste dann in der Familiengruft Guericke-Alemann (man beachte die posthistorisch überkorrekte Reihenfolge: Ehre immer Deine Ottostadt!) an der Johanniskirche ihre letzte Ruhe, da sich ja die Johanniskirche auch in Magdeburg befindet (und war das doch gerade mal wieder belagert, oder in Dogmatikerkriege verstrickt?).

In der Zeit, als die moderne Technik ins Leben einzog, erhielt die Johanniskirche eine neue Heizung, dabei wurde die Gruft ausgeräumt und die Knochen beiseite geschafft. Man hatte leider vergessen, dass der Stadtheilige vermutlich seine Knochen dort hatte niederlegen lassen. So kam es, dass jetzt keiner mehr weiß, wo sich die Gebeine Otto von Guerickes wirklich befinden. Und so etwas bei einem Naturwissenschaftler, der doch alles, besonders die Tatsachen immer so genau in Augenschein nahm! Vielleicht liegen die Gebeine des berühmten Bürgermeisters und genialen Physikers noch im Westen, und zwar in der Hamburger Nicolaikirche? … oder an einem anderen Ort Namens Nicolai?

 Quelle: nach Axel Kühling „Magdeburger Sagen“, Zweiter Teil, S. 68

Meine Frage: Trifft die Vermutung von Herrn Kühling zu – hat sich in Magdeburg eine neuzeitliche Sage um die verschwundenen Gebeine gebildet und wenn ja, wie genau lautet sie? Kann uns wenigsten jemand eine eindeutig wahre Sage über diese dunkle Sache erzählen?

Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus von Otto von Guericke in der Großen Münzstraße

Gerade jetzt im Jahr 2018 gibt es wieder einmal heftige Diskussionen. Die Lage stellt sich danach so dar: Der aktuell wichtigste Otto der Ottostadt starb in Hamburg, dort fand die Totenfeier statt. Dann wurde der Sarg mit den sterblichen Überesten nach Magdeburg in die von Otto von Guericke gekaufte Grabstätte an der Johanniskirche gebracht (Alemann-Guericke-Gruft). Ottos Enkel Lebrecht war Stiftsherr der Nicolaikirche und schuf dort ein eigenes Erbbegräbnis, in das auch sein Großvater umgebettet wurde. Die Kirche des Nicolaistiftes wurde zerstört und sie existiert heute nicht mehr. Dort steht heute das Hundertwasserhaus. Doch diese sehr komplizierte Version ist natürlich weiter hoch umstritten.

Die Sagen vom Blut schwitzenden Stein und von der auferstehenden Jungfrau –
Apfelstraße 13 (Zum Pelikan). Alter Markt (zum goldenen Greif)

Anfang Mai 1631. Das Haus „Zum Hündchen“ gehörte, wie in einer anderen Sage (siehe unten) berichtet, dem früheren Ratsherrn Johann Alemann, der mit dem Feind verhandelt hatte, laut Herrn Hülße aber weder aus seiner Verachtung für den Gegner noch aus seiner Gesinnung einen Hehl machte. Johann Alemann hielt es für das Beste, die Stadt zu verlassen, als die schwedisch gesinnte Partei im Rat die Oberhand behielt und der Administrator Christian Wilhelm in der Stadt aufgenommen wurde. Er zog sich auf sein Landgut in Sohlen zurück, während seine Gattin mit den Kindern in der Stadt zurückblieb.

Hauszeichen „Zum goldenen Pelikan“

Dort überstürzten sich die Ereignisse und mit deutlichen Vorzeichen nahte die Katastrophe heran. Dies traf das einfache Volk wie etwa den Fischerknabe Benjamin oder den Gastwirt des Hauses „Zum Pelikan“ in der Apfelstraße ü ebenso wie die vornehmen Herren. Mit dem Unterschied, dass die kleinen Leute aber als Helden erschienen, der Rat aber die Rolle des Schuldigen übernahm. Der kleine Benjamin berichtete im hohen Alter seinem Beichtvater eine zugleich furcht- und wunderbare Geschichte. Er erzählt, wie er die Grausamkeiten die Wochen nach dem 31. Mai er- und überlebte. Er erzählt von einem wunderschönen lieben Mädchen, das er traf und das er dann aus den Augen verlor und erst im Traum aufgebahrt im zerstörten Gasthause seines Vaters umgeben von einer Trauergesellschaft wiedersah, darunter seine Eltern. Es sah wie ein Engel eintrat und das Mädchen berührte, dessen Blässe eine herrlichen Gesichtsfarbe wich, das sich dann aufrichtete und mit dem Engel lebend den Raum verließ.

Hauszeichen „Zum goldenen Greif“

Einige Wochen vorher: Vor dem Dome schwitzte der Stein des ungetreuen Erzbischofes wieder einmal Blut; desgleichen geschah vor dem Hause des Ratsmannen Joachim Alemann – da war wohl Johann gemeint! – auf dem Markte. Dort bluteten die Pflastersteine. Wenn man das Blut abwischen wollte,  half das nichts,  und je öfter man dies tat, umso mehr spritzte hervor. Dies sahen viele tausend Menschen mit großer Verwunderung. Man streute Asche darauf, damit es trocknen sollte – doch umsonst. Es schwitzte weiter und drang durch viele Lagen Asche hindurch.

Die Frau eines Korporals kam unter großen Schmerzen nieder und eine Missgeburt zum Vorschein kam, versiegte das Blut. Sie starb und ein großer Knabe kam zum Vorschein mit  eine sehr seltsamen Kleidung, die war aus feiner Haut gemacht,  er trug eine Mütze, eine Rüstung und die weiten Stiefel jener Zeit. Er trug eine Patrontasche aus Fleisch, innen rauh wie ein Schaf- oder Kuhmagen mit zwei Kugeln von der Größe und Gestalt einer Musketenkugel.

Aber es gab auch übernatürliche Warnungen noch in der Nacht vor dem 10. Mai, als zwei Feuerbalken am Himmel erschienen. In glühender Kranz soll in die Lüfte entschwunden sein und ein unheimlich vieltausendstimmiges „Wehe, wehe!“ sei erschollen. Dies wiederholte sich nach Einnahme der Stadt, nämlich dort, wohin die Leichen geworfen wurden.

Eine weitere Sage weiss, dass vor der Schlacht ein geisteskranker Mann, Maler von Profession, in der Thorenkiste im Augustinerkloster gehalten wurde, weil er unaufhörlich gerufen hatte, dass Madeburg durch den Rat und durch das Geschlecht der Alemanns zugrunde gehen würde. Noch am Tag vor der Eroberung sei er mit einem Reiserbesen immer hin- und hergefegt, und als man ihn fragte, warum er das tue, antwortete er, auch Magdeburg werde gekehrt und gefegt.

(Quellen: nach Friedrich Hülße „Sagen der Stadt Magdeburg“, Seite 659 – 660, Seite 696 f., 700 ff.)

Historisch-symbolischer Hintergrund:

Es handelt sich hier einerseitst um Tatsachenberichte – in Legendenform gekleidet: Um Berichte von den marodisierenden Kroaten, die durch das Krökentor in die Stadt einfielen und die Frauen, Kinder und Greise schändeten und mißhandelten und durch Plünderung ihren „Sold“ einsammeln wollten. Der Berichterstatter Benjamin, der eine dieser Geschichten erzählt, fühlte sich wie von einem Engel geleitet, während rund um ihn die Leute elend starben.

Andererseits berichten die Sagen auch darüber, wie die damaligen Menschen diese Erlebnisse verarbeteten. Dass Steine nach der Schlacht Blut schwitzten, hat eine natürliche Erklärung, was die Sache aber nicht weniger grausam macht. Die Straßen waren voller Blut. Das der Volksmund nun das alte Ratsgeschlecht der Alemanns beschuldigte, ist einerseits aus den traumatischen Ereignissen der kleinen Bürger erklärbar, die sich von den Patriziern verraten fühlten, andererseits daraus, dass sich der eigene Eifer, die eigene Wut und der eigene Hass im Nachhinein einen Blitzableiter suchte.

Symbolisch bedeutet Blut stets Schuld, und der Umstand, dass dieses Blut selbst vor dem Haus eines anderen Alemann, nicht dem des Verräters, versiegt, bedeutet vielleicht symbolisch, dass die Familie als Ganzes Schuld auf sich geladen habe und sühnen müsse. Einige Leute werden diese Legenden auch ganz bewusst gepflegt haben. Die denkwürdige Mißgeburt, bei der die Frau starb, mag symbolisch für einen Rat stehen, der dem Kampf durch „schändliche“ Kompromiss ausweichen will, um die Stadt zu schonen. So verdreht man das wirkliche Geschehen und erzeugt ein Bild der eigenen Heiligkeit und Unschuld.

Die Sage des Hauses vom Hündchen, später: zum 10. Mai – Breiter Weg 146
Die Sachlage ist recht verwirrend. Das Hauszeichen „Das Hündchen“ wurde nach Axel Kühling noch am Haus gesehen (S. 65), zwei Seiten später wurde es aber vom späteren Besitzer entfernt (S. 67). Das muss nichts heißen, denn Häuser entstehen, werden renoviert und wieder abgerissen, um wieviel schneller mag dieses mit einem Hauszeichen geschehen. Das besagte Haus stand in der Großen Schulstraße und am Georgenplatz und hat eine wechselvolle Geschichte.

In einer anderen Quelle wird zwar das Motiv vom Hündchen überliefert. Es heißt, dass der Bürgermeister Martin Brauns „Im Katzensprung 10“ wohnte. Als er sich 1631 während des Infernos vor den Soldaten in einem Kamin versteckte, wurde er von seinem winselnden weißen Hündchen, verraten und daraufhin getötet – eigentlich stand es vor dem Schrank, um seinen Herrn zu schützen. Aber dies steht in keinem Zusammenhang mit Haussage und Hauszeichen des Hauses Breiter Weg 146. Zeitlich passt es außerdem nicht – obwohl es rührend klingt. Das Hauszeichen vom Hündchen soll aber schon mindestens hundert Jahre vor der Erstürmung Magdeburgs existiert haben.

Eine kurze Szene zum Breiten Weg 146 wiederum berichtet von einem Brudermord, bei dem ein Blinder aus dem Fenster hinausgeworfen wurde, doch auch dies steht in keinem Zusammenhang mit dem Hauszeichen des Hündchens und geschah während der Katastrophe 1631.

In der nächsten Quelle wird vermutet, dass in dem schönen Haus mehrere Sagenmotive von Fremdenführern zusammengewürfelt wurden, einfach aus Zeitgründen. Klingt für mich nicht besonders überzeugend, zumal, weil mir der Hang von Heimatkundlern nach der Authentizität ihrer Geschichten bekannt ist.

Leider ist in der Literatur über Magdeburg nicht überliefert, aus welchem Grunde das Haus Breiter Weg Nr. 146 einmal „Zum Hündchen“ genannt wurde, obwohl sonst so viel über Häuser und Hauszeichen berichtet wird.

Soviel aber steht fest; es befand sich in der Nähe des Alten Marktes. Das in der Altstadt liegende Haus überstand den Brand bei der Erstürmung Magdeburgs recht gut; mit ihm blieben aber auch andere alte Häuser gut erhalten. Dennoch führten Gerüchte und Mutmaßungen zu einer neuen Sage vom Verrat des Johann Alemann. Guericke und Kühlewein sollen dementiert haben.

Johann Alemann, der mit den feindlichen Truppen verhandelt hatte, galt in Magdeburg als Verräter, vielleicht nicht nur wegen seiner Diplomatie, die ja stets einen Hauch von Unglaubwürdigkeit an sich hat, sondern auch, weil er und seine Familie aus Magdeburg fliehen konnten. Seine Schuld konnte nie bewiesen werden, aber nicht nur die Rückkehr in die Stadt wurde ihm bei strengster Strafe verwehrt, sondern auch sein „Haus zum Hündchen“, das ein Herr Lentke bewohnte.

Während der Erstürmung der Stadt fanden in diesem Hause viele Verwandte Zuflucht, unter anderem die Gerickes, da die erste Frau des Otto von Guericke eine Margarethe Alemann war. Um die Verwirrung komplett zu machen, berichten andere Quellen, dass diese Ereignisse sich im Hause Am Alter Markt 11 („Zum Goldenen Greif“) abgespielt haben sollen.

Der neue Besitzer, Herr Stefan Lentke, ließ nach Neubauer das alte Hauszeichen „Zum Hündchen“ um 1700 entfernen und nannte es fortan „Zum Zehnten Mai“ – der Name eines fragwürdigen Triumphes. War doch auch er dem Blutbad entgangen, indem er sich in das Stift St. Annen geflüchtet hatte. Streitigkeiten zwischen Lentke und seinem stellvertretenden Bürgermeister und Schwiegersohn Otto von Guericke führten zu dessen Enterbung. Das Haus wurde zu einer milden Stiftung umgewandelt.

(Quellen: nach Axel Kühlig: Magdeburger Sagen S. 65, S. 67, nach Ernst Neubauer: Häuserbuch der Stadt Magdeburg, S. 231 u. Ernst Neubauer: Magdeburgs Zerstörung 1631, S. 9, nach Fr. Hülße: Magdeburger Haussagen, S.696 – 700)

 Sage vom Lindwurm oder vom Rothensee – Breiter Weg 142

Hauszeichen „Zum Lindwurm“

Viele Sagen um das Haus „Zum Lindwurm“ kennt man – hier die älteste von einer mächtigen Burg, die einst an der Ecke zur Großen Schulstraße stand:

Als Magdeburg noch ein Marktflecken und daher von Schutzburgen flankiert war, setzte der Kaiser einen Grafen als Schirmvogt ein, das war Ritter Wilderer von Wildburg, weit und breit berühmt nicht nur wegen seines starken Armes, sondern auch wegen seiner schönen Tochter Bertha. Viele Ritter bemühten sich um sie, doch sie war stolz und meinte, für einen anderen bestimmt zu sein.

Der gefürchtete Raubritter Wolf von Rüdenstein hörte von ihr, sah ihr Bild und beschloß, sie zu erobern, koste es, was es wolle. Nie wäre es möglich gewesen, dass er um ihre Hand anhielte, war er doch ein rauer Habenichts und der Erzfeind des Grafen.

Ein Mann aus der Gefolgschaft Rüdensteins kannte die Leidenschaft seines Herrn und beschwor ihn, sich bei dem fahrenden Volk Rat zu holen. Die Zigeuner aber waren Heiden. In einem Zelt lebte eine alte Zigeunerin, die kannte auch seine Zukunft: „ Du wirst deine Angebetete mit Gewalt erringen, aber dann sei höflich zu ihr“, sprach sie, „denn es ist auch geweissagt, dass du nur drei Monate Zeit hast, ihr Herz zu gewinnen; bleibt sie danach nicht freiwillig bei dir, musst du untergehen, selbst wenn ein Lindwurm deine Burg beschützen würde.“

Als Bertha mit ihren Kammerjungfern in den Elbauen Ball spielte, verbarg der Raubritter sich hinter einem Gebüsch. Der Ball fiel in seine Richtung fiel und als Bertha ihn holen wollte, zog er sie gewaltsam auf´s Pferd und galoppierte auf seine Burg, die hundert Meilen entfernt lag. Sie kamen an einem Wald vorbei, in dessen Mitte eine Lichtung war, auf der ein heidnischer Opferaltar stand. Der Altarstein trug eine bläulichrote Flamme; den Stein aber schützte ein heidnischer Wurm. Plötzlich trat ein alter Mann in einem wallenden Kleid heraus, wohl ein Priester, der redete ihn an: „Dein erstes Werk fiel dir leicht, Rittersmann, nun tu´ dein zweites.“

Der Raubritter wollte ihn niederhauen, wäre dies doch ein christliches Werk, mit dem er Berthas Herz gewönne. Doch der Priester gab ihm seinen Lindwurm zum Schutz, der hätte die Stärke von vielen Dörfern und Dienstmannen. Da war es der Raubritter zufrieden, schleppte Jungfrau und Wurm mit sich. Zu Hause angelangt, legte er den Lindwurm schützend um seine Burg; der Wurm wuchs gewaltig, bekam sieben Köpfe, das Blut in seinen Adern verwandelte sich in einen Kranz friedlicher Wendendörfer, die um die Burg lagen.

Inzwischen hatten die verstörten Jungfrauen dem Schirmvogt von der Entführung erzählt. Fast drei Monate vergingen. Von Zigeunern erfuhr man , wer der Entführer war. Man entsetzte sofort ein Heer mutiger Ritter, um ins Hinterland zu ziehen. Die Kunde vom heidnischen Lindwurm war inzwischen bis weit in das christliche Deutschland gelangt, wo zu Ingelheim am Rhein der Ritter Georg wohnte. Dieser wollte nichts mehr als fromme Taten begehen und damit seine Ritterlichkeit und Rechtschaffenheit beweisen. Darum eilte er nach Magdeburg zur Burg des jammernden Vogtes. Dieser war voller Angst um seine Tochter und versprach, noch ehe den jungen, fremden Ritter sah, dem, der seine Tochter aus der Gewalt des Raubritters von Rüdenstein befreite, die Hand seiner Bertha.

Innungshaus der Seidenkrämer, Alter Markt 5, „Georgs Kampf mit dem Drachen“

Ritter Georg ritt, so schnell er konnte, zur feindlichen Burg, überholte den Troß und sah schon von weitem, wie die Dörfer zu Füßen der Burg sich rot färbten und zu einem feuerspeienden Lindwurm wurden. Drei Drachenköpfe und ein mächtiger Schweif bedrohten ihn, doch ganz allein schlug er dem Lindwurm den Kopf mit dem Schwert ab, bis er in der Burg stand, dem Rüdenstein gegenüber. Gerade waren drei Monate vergangen, und harrte Bertha in ihrem Verlies aus, ohne ihn erhört zu haben. Da schwand seine Macht, man tötete ihn und seine sämtlichen Raubritter. Das Blut des Lindwurms aber verwandelte sich die Dörfer um den Rothensee, bis es versiegte.

Bertha dankte ihrem Retter, dem Ritter Georg von Ingelheim. Der brachte sie zunächst in die Burg ihres vor Glück strahlenden Vaters. Es heißt, dass sie zur Hochzeit mit dem Ritter Georg nicht mehr überredet werden musste. Georg siedelte sich in Magdeburg an und wurde der neue Burgvogt. Zur Erinnerung an den Sieg über den Lindwurm wurde an der damaligen Stadtmauer ein Bild angebracht.

(Quelle: Hülße, Seite 307 – 334)

Historisch-symbolischer Hintergrund:

n historischer Hinsicht thematisiert wird der Sieg über die Raubritter, eng verbunden mit der Sicherung der Handelstraßen gegen die Raubritter; aber auch des christlichen Rittertums über die Heiden, des Westens über den Osten. Gefeiert wird das in den Diensten des Kaisers stehende Rittertum.

In symbolischer Hinsicht bezwingt der Heilige Georg den Lindwurm mit dem Schwert, schlägt ihm die drei Köpfe ab, denn dreimal war das Heidentum um Magdeburg wieder aufgeflackert – ein Sujet aus der Legende des Heiligen, der hier sonst nicht bezeugt ist.

Das Haus „Zum Lindwurm“ hat nicht nur eine große Geschichte – Michael Lotter hatte hier seine Magdeburger Druckerei eingerichtet, der Herzog von Mecklenburg wurde nach seiner Gefangennahme in der Belagerung von 1550/51 hier gefangen gehalten – gehörte zu den Häusern, die die Stadtzerstörung von 1631 überstanden. So war es – bis zur Umwandlung in ein Kino in den der 30er Jahren des vorigen Jahrhundert – eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse von einem alten Kaufmannshaus in Magdeburg.

 

Regionale Sagen aus dem Umland und Familienbeziehungen

Gott, so glaubte man nach dem Glauben unserer Vorfahren, wollte die Menschen nicht ungewarnt lassen. An übernatürlichen Erscheinungen sollten sie rechtzeitig erkennen, wenn sich besondere Dinge ankündigten. Dies war eine von Glauben und Aberglauben durchsetzte Hellseherei. Die Fähigkeit, solche Vorzeichen zu erkennen und zu deuten, blieb seit Menschengedenken das Vorrecht der kleinen Leute.

Ebenso warnte die Natur, wenn Krieg und Mord bevorstanden, nämlich durch irdische Erscheinungen wie widernatürlich miteinander kämpfende Ameisenschwärme, blutrotes Wasser, blutende Steine, blutende Brote und am Himmel durch Orkane, Feuerkränze und -balken, mit mehreren Monden gleichzeitig, mit bis zu fünf Sonnen oder durch die fahle Totensonne über Magdeburg.

In der Region um Magdeburg (zum Beispiel, als Friedrich Rotbart 1191 im Heiligen Land starb, vor der Schlacht bei Ziesar 1409, vor der Schlacht vor Wolmirstedt 1550) wollte man Raben und andere Vögel gesehen haben, die glühende Kohlen in den Schnäbeln trugen, diese fallen ließen und damit Häuser und Scheunen in Brand setzten.

In der Region um Wiesenburg warnte laut Chronik die Natur vor den Schrecken des Krieges in Form von Landplagen (Heuschreckenschwärme), was Hungersnöte in der bäuerlichen Bevölkerung zur Folge hatte. Waren damit wirklich Heuschrecken gemeint oder Soldaten, die bei besondere Ereignisse auf dem Lande einnisteten? Lassen wir das dahingestellt.

Eine kurze Volkssage aus Glien (Glyn oder Lyn= wendisch: Lehm) berichtet von brennender Erde als einem Vorzeichen vor dem im Schmalkaldischen Krieg, der dem Dorf schlimme Verwüstungen brachte. Da heißt es: Wegen seines nachdrücklichen Verhandlungsgeschicks (laut Chronik: `er war mächtig mit dem Wort, mit der Hand und mit dem Rath´) wurde der Wittenberger Hofrichter Friedrich von Brandt kursächsischer Rat bei drei sächsischen Kurfürsten.

Schloss Wiesenburg auf einer Lithografie um 1860

In der Familie Brandt von Lindau überlebte eine Sage, nach der führte ein langer unterirdischer Gang von dem Landsitz Wiesenburg in Richtung der Stadt Wittenberg führte. Dieser Gang blieb von allen Besatzern der Stadt Wittenberg unentdeckt, und im Notfalle konnte man so unbemerkt zwischen Schloss und Wittenberg verkehren.

1547 wurde der Geheimgang genutzt. Fähndrich berichtet, dass das belagerte Wittenberg auch von diesem Schloss aus versorgt wurde. Als dann das die feindlichen Truppen Obwohl sie das letzte Hemd anhatten. Die Familiensage erinnere ich so, dass Friedrich Brandt von Lindau, der couragierte Berater und eine Handvoll Krieger des sächsischen Kurfürsten, hofften, aus der Deckung heraus vom Schloss her dem Feind in den Rücken fallen zu können. Siegesgewiss nutze sie die unbekannten unterirdischen Gang und sie traten am anderen Ende des Ganges heraus in der Vorstellung, sich in der sicheren Burg wiederzufinden. Stattdessen bot sich ein Bild der Verwüstung: der Feind, die hatte die Burg geschleift und an den Dörfern Groß-Glien, Steindorf und Brücke Trebitz sowie den Mühlen Altemühle und Gömnick (Gemmenick) durch Brandschaden Rache genommen.

Fähndrich berichtet, der Pfarrherr von Wiesenburg Conradus Nozelius habe seines Junkers Blöße, er trug doch nur das letzte Hemd, selbst fast vor Augen gesehen. (`Der Feind hätte ihm mehr Unkeuschheit anmuten lassen, aber er ist durch göttliche Hülff von sulchem Feind mit den Seinen errettet worden…-´). Der Familiensage nach wird die Familie durch den Tunnel widerum entkommen sein. Sprich: Der Mann konnte mitsamt seiner Familie nach Brandenburg fliehen. Der „Junker“ war im Volk beliebte – was selten genug vorkommt – und er hatte die aus der Hussitenzeit noch wüsten Dörfer aufgebaut. Als sie nun wieder niedergebrannt sah, erlitt einen Schlagfluss, an dem er Monate später starb. Soweit die Chronik.

Der wittenbergische Hofrat hieß dem 22. Juni 1548 Friedrich II Brandt von Lyndow (so eine Urkunde von 1601, posthum nach seinem Tod ausgestellt), wie dann das Landadelsgeschlecht auf Wiesenburg nach ihm.

Bereits im frühen Mittelalter hatten die Kämpfe der fränkischen Eroberer unter Karl dem Großen 805 die Landschaft in der Region verwüstet. Die Franken nutzten Stellungen, Anlagen und Siedlungen, die noch aus der Wendenzeit vorhanden waren, um diese weiter auszubauen und für sich nutzbar zu machen. Ein Zeugnis davon sind die alten Mühlen.

Man glaubte damals an eine Göttin namens Hane, die wendische Göttin des Schicksals und des Wetters. Sie offenbarte sich den Menschen in der Natur. Wenn die Mühlenblätter im Winde heulten, kündete die Wendengöttin das Schicksal der Bauern, die vom Wetter abhängig waren, durch Wolken, Wind, Regen oder durch Sonne.

Auf einem kahlen Berge von Gömnigk lag eine alte Windmühle, die von den wendischen Bauern, die das flache Land ringsum beackerten, gemeinsam genutzt wurde. Auf der einzigen größeren Anhöhe weit und breit – dem Calenberg oder Haneberg – wehte immer ein frisches Lüftchen. Die Wenden aber wohnten auf Burgen rundum, die allerdings aus Erde und Fachwerk, also nicht aus Stein waren. Viele Namen erinnern noch heute daran: Wendischbork (1937 wegen des slawischen Namens umbenannt in Bork, heute Bahnhof Borkheide), Wendemark in der Altmark, das Wendland nahe bei Celle und viele mehr.

Nun waren die wendischen Kleinstämme untereinander zerstritten. Viele Bauern meinten, man müsse sich mit den christlichen Eroberern abfinden, damit sie weiter leben und arbeiten könnten. Die meisten Landbesitzer aber hielten dagegen, die Landeroberungen der Christen dürfe man keinesfalls dulden. Bei den Wenden galt die Mühle als heiliger Ort, an dem keine Zwistigkeiten und kein Streit geführt werden durften. Die wendische Göttin Hane/ Cale (?) bewachte diese Orte des Friedens.

Da die Mühle wegen des fehlenden Windes in der Gegend jedoch oft stillstand und damit auf „Frieden“ hindeutete, so war damit auch das Schicksal der Wenden beschlossen und ihr Widerstand in der Region wurde gebrochen. Immer wieder hatte die Mühle (sprich: die Göttin Hane) Grund zum Heulen, was aber die Bauern begrüßten, da dies dann zu ihren Gunsten geschah. Wie erst die fränkischen Eroberer aus dem Süden, so erkannten 100 Jahre später auch die Sachsen, die von Norden her kamen, sehr schnell den strategischen Wert der Orte, die den Wenden als heilig galten, weil sie sie mit gemahlenem Getreide versorgten, aber auch Überblicke über die Landschaft boten und nicht selten zum Zentrum des Widerstands wurden. Wer die Mühlen besaß, konnte den Widerstand der Wenden brechen. Ihr Land verließen die slawischen Stämme aber nicht, sie lebten weiter an ihren angestammten Gebieten und vermischten sich mit den hinzugekommenen Kolonisten. Mancher Landadelige soll sogar wendische Vorfahren haben.

Noch in der Mark Brandenburg wehrten die Wenden sich bis Ende des 12. Jahrhunderts, ehe sie vor den Eroberern resignierten und diese mit Fluchzaubern belegten. Sagen, Fluchzauber und die Angst vor schicksalskündenden Naturwundern kursierten in der Bevölkerung der Region noch lange Zeit.

Wenden oder Sorben leben heute noch in der Lausitz und im Spreewald. Viele bekannte Ortsnamen wie etwa Cottbus dort sind sorbisch. Ich selbst hatte noch einen sorbischen Lateinlehrer, der ein wahres Sprachwunder war und der fünf Sprachen sicher beherrschte. Er kannte auch so manche kleine Sage.

Zum Beispiel diese:

„In der alten Mühle im Dorfe Gömnigk hausten viele Ratten und Mäuse und es stellten ihnen viele Katzen nach. Unter ihnen waren auch welche, die Menschen angriffen. Als Müller Pumpfuß, es war ein origineller Kauz mit List und Tücke, zur Mühle kam, konnten sie ihm nichts anhaben. Von der Müllerin wollte er Speis und Trank haben. Ich gebe nichts, rief sie barsch. Mit argem Lachen ging er weiter. Aber kaum war er einige Schritte von der Mühle entfernt, stand sie still und es ertönte ein lautes Krachen. Auf dem Dach lag das große Mühlrad und hat sich in einem wahren Teufelstanz gedreht. Da erkannte die Müllerin, dass der fremde Wanderer das Haus verhext habe. Schnell ist sie ihm nachgelaufen, hat ihn zurückgeholt, Speis und Trank vorgesetzt, soviel erhaben wollte. Nun kam das Mühlrad wieder herunter, und Müller Pumpfuß hatte es seitdem immer gut, wenn er müde und schwach in der alten Mühle vorsprach.“

 Auch von der Alten Mühle zu Gommern gibt es etwas zu erzählen: sie war noch um 1453 ein sächsisches Lehn, das die Brandt von Lindaus, ein Adelsgeschlecht das viele Lehnsbesitze im Gebiet vom Fläming über Zerbst bis nach Gommern besaß (in Magdeburg hatten sie einen Stadthof in der Leiterstraße), schon vor 1400 an das Magdeburger Patriziergeschlecht als sogenanntes Afterlehen weitergegeben hatten. Seit 1475 war der Hauptsitz der Brandts die Wiesenburg – für damalige Verhältnisse weitab von Magdeburg. Sie wurden später unter anderem mit zwei wüsten Burgen zu Gommern und einem Mühlenberg belehnt.

Um die geschlagenen Schlachten, besonders aber um die von 1631, in gerade in Magdeburg ein regelrechter Kult entstanden. Sicher herrschten hier große Grausamkeiten und bittere Hungersnöte – aber in der Region doch auch. Wurde Magdeburg zerstört und geplündert, so hatten die Belagerer vorher die Regionen durch Requirierung von Nahrungsmitteln ausgehungert. Siedlungen, Scheunen und Häuser waren ja ungeschützt. Nachdem man die Einwohner verjagt oder massakriert hatten wurden auch `ihre Hüttlein … von den Schweden genzlichen ruiniret und in die Asche geleget.´ So heißt es in der Dorfchronik von Werbig, und anderswo mag es ähnlich gegangen sein.

Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts beginnen wieder erste zusammenhängende Berichte in den Kirchenbüchern, doch sind sie oft keine Sagen, haben nicht einmal legendenhaften Charakter. Dennoch sind sie wichtig und dürfen nicht vergessen werden: Mal in der Schäferei von Wiesenburg von einem Brunnen mit Metalltöpfen voller Münzen aus Gold und Silber die Rede – sicher waren die rechtmäßigen Besitzer tot oder außer Landes geflohen – aber konnte man das essen? Berichte von wüsten Dörfern und abgebrannten Stellen sind häufig, man fürchtete, krank zu werden oder auszusterben – von wenigen erfolgreichen Geburten in den Sprengeln ist die Rede – sowie von den mildtätigen Nahrungs- und Geldspenden durch die Herrschaft (Reetzer Kirchenbuch).

Die Grenzlage von Wiesenburg blieb für die einfache Landbevölkerung gefährlich, war sie doch geteilt in brandenburgische und in sächsische Lehen, wenn dies auch politische Vorteile für die belehnten Herren der dortigen Ländereien und Dörfer brachte, die so zwei Fürsten gegeneineinder ausspielen konnten.

Seit 980 währten nacheinander die Kriege gegen die Wenden, um 1030 ging es gegen die Polen, um 1107 kämpften die Gegenkaiser Ludwig von Bayern und Friedrich III. von Sachsen. Die Fehden zwischen den Magdeburger Erzbischöfen, dem als „zuchtlos“ bezeichneten Waldemar, und den Raubrittern von Quitzow erschütterten den westlichen Teil Sachsens. Die ersten Hussitenkriege in Brandenburg fanden laut der Belziger Chronik dort zwischen den Jahren 1395 und 1406 statt. 1430 wurde die Region des heutigen Sachsen-Anhalt, diesmal von spanischen Söldnern, auf ihrem Zug nach Magdeburg heimgesucht.

In der Region folgten die Schmalkaldischen Kriege mit den Reformationsversuchen, was neue Kalamitäten für das flache Land brachte. Ab 1570 kehrte – zumindest im Gebiet des Fläming – eine gewisse Friedensperiode ein. Dafür wütete dort 1626 die Pest, kurz darauf war wieder einmal Krieg, als im Dreißigjährigen Krieg die Kaiserlichen durch das Sachsenland zogen – so die Akten des Wittenberger Kreisamtes. Anno 1646 kam es hier zum Waffenstillstand. Danach kam wieder die Pest und forderte wohl nicht nur im Kreis Jüterbog seine Opfer (dort ist es aber belegt).

Schreckensberichte – ob in Stadt oder Region – sind in den Volksmund eingegangen, der sie zwar mündlich tradierte, doch nur selten in zusammenhängende Form kleidete; eine solche Ausnahme ist der genannte schriftliche Bericht des Pfarrers von Wiesenburg. Es gibt sicher woanders noch mehr Wissenswertes, aber dies ist meine Quelle.

In den Dörfern kennt man heute nur die alten Wendensagen und kurze Berichte von Mord, Brandstiftung, Unzucht, schlimmem Diebstahl, Waldfrevel und weiß um deren zum Teil kuriose, zum Teil sehr harte Bestrafungen – eben weil diese schriftlich vorhanden sind.

Kurz noch zur Rechtsgeschichte in den Dörfern der Herrschaft Wiesenburg: Nach den vielen Kriegen waren die Sitten der Menschen wohl sehr verwildert und entschiedene Maßnahmen taten not, damit wieder einigermaßen geordnete Verhältnisse eintreten konnten. Im hohen Mittelalter hatten auf dem Lande der Junker und sein Vertreter Gericht zu halten und Urteile zu vollstrecken. Später brauchte der Junker bei der Verhängung der Todesstrafen Gerichtsvollmacht. Hinrichtungen gab es noch 1664 in Wiesenburg (eine) und 1666 in Belzig (zwei). Allerdings saßen jetzt juristisch gebildete Personen zu Gericht und brauchten wieder eine Gerichtsvollmacht; das galt etwa ab 1700 auch für mindere Vergehen auf dem Lande.

(Quellen: Fähndrich, Die Herrschaft Wiesenburg S. 2, 8, 9, 26 f., 39, 43, 48; Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg, 1881, S. 35 f., Wolter, Geschichte der Stadt Magdeburg S. 4, Friedrich Hülße „Sagen aus der Stadt Magdeburg“, S. 644 f., S. 655 f., Familienverband Ziering-Moritz-Alemann, Heft 3, S. 178 f., Eberhard v. Aleann, Geschichte des Geschlechts von Alemann, S. 185 … und die farbenfrohen Erzählungen meines Großvaters aus meinen Kindertagen.)