Drei Alemänner im Schöffenkollegium

Ludwig, Hans und Johann,
drei Alemänner im Schöffenkollegium

Wir erzählen die Geschichte von drei Schöffen. Ludwig Alemann war Kämmerer und Schöffe, sein Sohn Johann übernahm das Schöffenamt des Vaters. Der dritte Schöffe war der kleine Bruder der schon porträtierten Bürgermeister Heine und Heinrich.

In diesem Bericht sollen weniger beachtete Seiten des Patrizierlebens zur Sprache kommen: die militärischen Aktivitäten und die kaufmännische und universitäre Ausbildung der Patriziersöhne.

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Inhaltsübersicht:

Ludwig Alemann (1413-1480) – der Vater
Eine Episode vom Leipziger Ostermarkt 1479
Der Baccalaureus Johann (1453-1516) und sein Sohn Hans
Tabelle: Die Ämter der drei Schöffen und ihrer nächsten Verwandten
Hans Alemann (1440-1515) – Kreuzfahrer und Schöffe
Tabelle: Schöffen der Familie Alemann
Morgendämmerung einer bunten Welt der Konfessionen
Quellenangaben

Ludwig Alemann (1413-1480) – der Vater

Um 1413 wurde Ludwig Alemann geboren, er heiratete Anna Engel. Deren Vater Claus Engel schlichtete als Schöffe 1422 gemeinsam mit Hans Alemann und Ludwig Keller einen Streit des Erzbischofs Günther mit der Stadt Halle (UB II, S. 95; Schöffen­chronik I, S. 359 ff; ZMA 3 S. 159+244). Ein anderer Claus Engel, 1370 als Schöffe genannt, könnte ihr Groß- oder Urgroßvater gewesen sein. 1495 wurde das Testament eines Claus Engel vollstreckt (UB III, S. 579), der ihr Bruder gewesen sein könnte. Die Familie Engel war also eine alte Ratsfamilie und sie war wohlhabend. Das zeigen Urkunden wie die über den Kauf des halben Dorfes Hohendodeleben und von Solgütern in Staßfurt.

Der Rat wählte Ludwig Alemann (1415-1480) viermal zum Kämmerer:  einmal 1446 und – Jahre später – dreimal von 1459-1464, danach wurde er Schöffe. In den Jahren 1453-1459 geschah folgendes: 1453, etwa 38 Jahre alt, kam Johann, ein Sohn von Ludwig Alemann zur Welt. Der Vaterverließ wohl im gleichen Jahr seine Heimat­stadt, um mit  den Truppen des ungarischen Feldherren Hunyadi gegen den osmanischen Sultan Mehmet II auf den Balkan in den Krieg zu ziehen . Er folgte den Aufruf von Giovanni di Capistrano.

Der Buß- und Wanderprediger Giovanno di Capestrano

Capestrano – 1386 geboren,  nach seinen Tod 1456  heilig gesprochen – war einer jener konservativen Reformer, die mit einer Mischung aus Fanatismus, Gottglaube, umfassender Bildung, organisatorischer Begabung und unerschöpflicher Energie für die „renovatio“ der Kirche und das Heil der Gläubigen kämpfte. 1416 – als Dreißigjähriger und als ein angesehener Richter – entsagte dem weltlichen  Leben und ging ins Kloster. Als Mönch studierte bei Bernhard von Siena, wurde Klostergründer und Inquisitor. Als kirchlicher Richter forderte er die radikale Anwendung jener Judengesetze, die zum kanonischen Recht gehörten,  und in Breslau verwandelte er einen Prozess wegen einer angeblichen Hostienschändung in ein Pogrom.

Er gewann mit all diesen Aktivitäten einigen Einfluss auf die päpstliche Kurie und wurde als Prediger zunächst gegen die Hussiten, dann gegen die Türken ausgeschickt. 1453 sammelte er Kämpfer für einen Kreuzzug. Er führte dem ungarischen Kriegsherrn Hunyadi einen ziemlich wilden Haufen zu. 1456 konnten Hunyadis Truppen erstaunlicherweise Belgrad befreien und den Vormarsch der osmanischen Armee stoppen – vorerst!

Der Kämmerer Ludwig Alemann kämpfte unter Hunyadi und verließ dessen Truppe nach dem Sieg bei Belgrad als Regimentskommandant. Er hatte ja – wie alle Magdeburger Bürgersöhne -eine solide Militär­aus­bildung und Kriegserfahrungen. 1459 war Ludwig Alemann wieder in Magdeburg wurde erneut zum Kämmerer gewählt.

Anna Engel soll um 1456 gestorben sein, das Geburtsjahr für zwei weitere Söhne wird in unserer Genealogiedatenbank mit 1455 angegeben. Man muss das vermutlich um ein oder zwei Jahre nach vorn verschieben, denn 1454/55 kann der Vater kaum in Magdeburg gewesen sein. Ludwigs erste Ehefrau starb also vermutlich während seiner Zeit auf dem Balkan, vielleicht bei der Geburt des dritten Kindes. Ludwig hat nach seiner Rückkehr wiederum reich geheiratet: Gertraut von Embden gehörte zu einer der ältesten Magdeburger Ratsfamilien. 1464 wurde Ludwig ins Schöffenkolleg gewählt, dem er dann wohl bis zum Lebensende angehörte. Er soll begeisterter Jäger gewesen sein und vier rassige Pferde gehalten haben. Es war damals noch etwas „ländlicher“ in der „Metropole“ Magdeburg, Doch das Grundstücke und das Haus gleich neben dem Rathaus und unmittelbar vor der Johanniskirche, wo heute eine Wiese ist, war sehr geräumig. Ludwig bewohnte den Artushof in der Johannisbergstrasse 3, auf Otto Gerickes Plan von 1632 als Almans Haus bezeichnet.

Eine Episode vom Leipziger Ostermarkt 1479

Zu erzählen wäre noch eine Episode aus dem Kaufmannsleben, wie sie im Urkundenbuch überliefert ist. Sie ist in der Genealogiedatenbank bei Ludwig Alemann dokumentiert, obwohl dieser in der Episode nur am Rande als Begleiter erwähnt ist:

Es waren einige Bürger von Magdeburg nach Ostern zur Leipziger Messe gereist. Bei diesem Markte pflegten die Magdeburger bei einem gewissen Klaffhammer abzusteigen, in dessen Keller die Kaufleute ihre Güter aufbewahrten. Einmal an einem Donnerstage kam zu dieser Herberge ein Jagdhund zugelaufen, welcher dem Thomas “Salemon”, einem Magdeburger Patriziersohne und Schwager Friedrich I. Alemanns gestohlen worden war. Der Hund erkannte seinen Herrn und dessen anwesende Brüder, zu denen er sich fortan hielt. Als dann am Sonntage Cantate die Magdeburger aus der Stadt zogen, und zwar Bm. Heine mit Ludwig,  seinem Vetter,  dann etlichen Freunden zu Wagen, Friedrich, Bruder Heines, und andere zu Pferde, lief der Hund frei mit. Da kam ein gewisser Sebald Pudernitz mit großem Geschrei und Fluchen herbei und fragte, wohin sie mit dem Hunde wollten. Da sagte Friedrich grade heraus, der Hund gehöre dem Gesellen Thomas Salemann, auf das hin warf Pudernitz nach Friedrich einen großen Stein und hätte ihn erschlagen, wenn der Wurf nicht durch den Hut abgeschwächt worden wäre. Pudernitz rannte hierauf auf den Kirchhof St. Katharina, Friedrich ritt ihm nach und fragte ihn, mit welchem Rechte er nach ihm geworfen habe. Pudernitz fiel dem Pferde in die Zügel. Da kam Friedrichs Diener Hans Lafferd dazu und sagte Pudernitz, er solle den Zaum fahren lassen, sonst würde er ihm mit der Armbrust eines auf den Kopf versetzen. Da kam eine ganze Rotte Leipziger ihrem Mitbürger zu Hilfe, zog die Schwerter und verwundete das Pferd Friedrichs an fünf Stellen. Bm. Heine erfuhr, wie es seinem Bruder ergehe, sprang vom Wagen, drängte sich zu seinem Bruder durch und fragte die Menge, wie sie gegen alles Recht Friedrichen angefallen hätten. Habe dieser etwas verbrochen, so seien der Rat und die Schöffen von Leipzig da. Darauf ließ man Friedrich mit den Seinen nach ihrer Herberge reiten. Heine setzte sich wieder in den Wagen und fuhr aus der Stadt über die Brücke in die Vorstadt. Mit ihm fuhren Hanns vom Kellere, Ludwig Alemann,  sein Vetter,  und Blasius Schartow. Da lief ihnen Pudernitz mit einer Menge Leute nach, schlug das Tor zu, und man zwang sie, zur Herberge umzukehren. Dem Friedrich, der mit seinem Gefolge ebenfalls zur Herberge ritt, kam der Marktmeister mit den Stadtknechten entgegen, mit gezogenen Schwertern, und wollte ihn anfallen. Da legte sich der Wirt Friedrichs, Ulrich Klaffhammer, ins Mittel und sagte, daß er für ihn bürge. Es kam dann zu Aufklärungen. Es schickten die Richter und Schöffen an die Magdeburger die Aufforderung, sie sollten zu Gerichte kommen. Heine wollte jedoch nicht hingehen, weil er nicht wußte, was mit Friedrich geschehen sei, so wurde die Schlichtung des Streites auf Michaelis verschoben.  (ZMA 3.Druckheft S.159f., wohl recht frei nachempfunden dem UB III, S.158ff, Dok. 359)

Friedrich Alemann ist im Urkundenbuch erwähnt als Ehemann von Adelheid Salomon, Tochter von Heinrich und Elisabeth Salomon, also auch Schwager von Adelheids Geschwistern Thomas, Jakob und Elisabeth. Die Schreibweisen des Namens variieren: Salomon/Salemann/Salmann (UB III, S.167, Dok. 376, S. 125 Dok. 268). Heine und Ludwig Alemann waren damals schon 60, bzw. 65 Jahre alt.

Die Episode verdeutlicht, dass das Militärische, das Juristische und das Kaufmännische im frühen Bürgertum als untrennbare Einheit betrachtet werden mussten. Es sind oft – aus unserer Sicht – Kleinigkeiten, die zu bewaffneten Streitigkeiten führten und nur mühsam – oft unter Zuhilfenahme von Vermittlern und Gerichten geregelt werden konnten.

Der Baccalaureus Johann (1453-1516) und sein Sohn Hans

Johann Alemann wurde, wie gesagt, 1453 geboren. Er heiratete Trale Wittekopf, die Tochter des damaligen Kämmerers Heyne Wittekopf. Die Genealogiedatenbank dokumentiert eine Tochter und sechs Söhne. Er starb 1516 und wurde im Kreuzgang des Sankt Peter und Paul Stiftes in der Alten Neustadt (heute Peter-Paul-Straße) beerdigt. Mit ihm zusammen starben im gleichen Jahr auch seine Söhne Thomas und Heine. Es war ein Pestjahr.

Johann Alemann hatte kein anderes Amt als das eines Schöffen. Das lag wohl daran, dass er in der Familie der erste vollwertige Jurist war. 1465 im Alter zwischen 12 und 14 Jahren begann sein Studium an der Artistenfakultät in Leipzig. Dort erwarb er – etwa um 1470 – das Bakkalaureat. Auch seine Söhne studierten: Ludwig (1490-1563) beschloss sein Studium in Wittenberg ebenfalls als Bakkalaureus. Georg (1500-1530) studierte 1518 sogar in Bologna. Mehr sagt die Genealogie aber nicht zu diesem Sohn, er starb jung. Das Studium war in dieser Familie offensichtlich eine wichtige Angelegenheit. Vielleicht deshalb, weil schon Großvater und Vater Schöffen waren.

Baccalaureus nannte man damals einen Studenten, der nach etwa vier oder fünf Jahren die Befähigung zum Doktorat und Magisterstudium erworben hat. Er musste eine Prüfung ablegen, über ein Thema disputieren und eine Vorlesung halten (Anders Piltz, Die gelehrte Welt des Mittelalters, Köln 1982).

Dieses Studium war also eine mehrjährige Ausbildung, die erheblich über unser heutiges Schulabitur (französisch: baccalauréat) hinausging – vielleicht so etwas wie ein kleiner „magister artium“, der heutige Bachelor. Da dieser Titel in den Urkunden erwähnt wird, hat er damals sicher etwas bedeutet.

Bei den Kandidaten für Rats- und Schöffenämter war natürlich immer eine gewisse juri­stische Ausbildung erwünscht. In der Regel studierten Patriziersöhne, die für Ratsämter vorgesehen waren, zumindest für ein bis zwei Jahre, manch­mal erst in reiferem Alter. Wichtiger war aber die kaufmännische und militärische Ausbildung. Dazu gehörten Handelsreisen, bei denen beides unverzichtbar war, wie die Episode vom Ostermarkt in Leipzig zeigt.

Johanns Studium ist ein Hinweis darauf, dass seine Eltern für ihn eine Juristenkarriere anstrebten. Doch meist waren die Erfahrungen und Beziehungen, die durch Eltern und Verwandte den Heranwachsenden vermittelt wurden, das prägende Element der Jugend. Insbesondere die Kopialbücher der Älteren, die Abschriften aller wichtigen Dokumente, sowie die Notizen zu den sie begleitenden Ereignissen enthielten, werden eine große Bedeutung gehabt haben. Sie sind bis heute wichtige Quellen der Geschichtsforschung. In unserer Familie gibt es noch eines dieser Kopialbücher, das Merkbuch des letzten Bürgermeisters unter den Magdeburger Alemänners, Martin Alemann (1671-1709). Es wurde von seinem Sohn Martin (1628-1685) weitergeführt.

Der Handel und die Handelsreisen prägten die Jugend von Johanns Sohn Hans (1491-1568). Er hielt sich zwischen 1523 und 1532 in Schweden, Russland und Polen auf, wo er sich vermutlich mit Fern­handel befasste. 1522 und dann wieder von 1532 – 1538 war er Kämmerer. Offensichtlich genügte ihm das aber nicht. Denn er nutzte die Jahre im Alten und Oberalten Rat (1536 und 1538) für ein Kurzstu­dium in Wittenberg. In unserer Genealogiedatenbank heißt es dazu:

„Kämmerer: 1522 (nach König Bd. 33 ist er 9 Jahre in Schweden, Russland und Polen gereist), 1532, 1535 (anscheinend studierte er 1536 in Wittenberg – in damaliger Zeit bezogen Jünglinge von etwa 14 Jahren, die vielleicht durch Hauslehrer gut vorgebildet waren, aber auch Männer, die schon im Amt standen, die Universität), 1538. I. Bürgermeister. 1541– 1559. 1547 schrieb er an den abgesetzten Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen:

‘Unter dem Heerbanner Jesu Christi stehend, wünschen und bitten wir täglich von Gott dem Herrn Stärke, Geduld, Gnade und im theuern Wort Christi sieghaftes Fechten. Es komme und ergehe uns, wie es dem Herrn gefällig, bei seinem untrüglichen Wort bleiben wir mit wohlbeherztem guten Gemüth.’

Der 2. Bürgermeister. Vollrath Gerecke schrieb dazu:

‘Warlich, ein mannlich Wort aus evangelischem Herzen!’“

Der Einsatz hat sich gelohnt: Johanns Sohn Hans wurde einer der großen Bürgermeister der Altstadt. Gerade aus seinem Lebensweg könnte man schließen, dass ein juristisches Studium auch für die Bürgermeister schon damals fast unverzichtbar war. Den Ausschlag gaben aber ganz sicher die politische und militärische Erfahrung, das eigene Vermögen, sowohl körperlich-geistig, als finanziell, und die damit verbundenen Beziehungen.

Johann Alemanns engste Verwandten waren alle wohlhabend und sie bekleideten wichtige Ratsposten. Am 14.9.1422 werden Hans Alemann und Claus Engels als Schöffen unter den Schiedsrichtern in einem Streit zwischen dem Erzbischof Günter und der Stadt Halle genannt (UB II, S.95). Johanns Schwiegervater Heine Wittekopf war von 1475-1487 Bürgermeister.

Die Ämter der drei Schöffen und ihrer nächsten Verwandten

von bis Name Funktion
1422 1422 Claus Engels Schöffe
1446 1446 Ludwig Aleman Kämmerer
1459 1462 Ludewig Aleman Kämmerer
1464 1477 Ludeke (Ludwig) Alman Schöffe
1466 1472 Heine Witkopf Kämmerer
1475 1487 Heine Witkopf 1. Bürgermeister
1477 1515 Hans Alemann Schöffe
1477 1495 Heine Alemann 1. Bürgermeister
1477 1516 Johan Alman Schöffe
1483 1503 Heinrich Alemann 2.Bürgermeister
1498 1498 Paul Witkopf Kämmerer
1501 1501 Claus (Paul) Wittekopff Kämmerer
1594 1594 Jobst Witsche (Wittekopf) Kämmerer

1477 wurde Hans Alemann zusammen mit Johann Alemann Schöffe, er war der jüngste Bruder der schon portraitierten Bürgermeister Heine und Heinrich. Schon 1350-1390 und 1393-1432  saßen zwei Alemänner namens Hans im Schöffengericht. Der letztgenannte war nach den Münzaufständen der Jahre 1400 bis 1403 einer der Schlichter. 1464 wurde Johanns Vater Ludwig (1415-1480) zum Schöffen ernannt. Es war aber eher ungewöhnlich, wenn 1477 gleich zwei der neu berufenen Schöffen aus einer Familie stammen, zumal Heine Alemann in eben diesem Jahr erstmals Bürgermeister wurde. Die Familie war daher im 15. Jahrhundert, wenn auch nicht im Rat, so doch im Gericht durchgehend präsent.

Schöffen der Familie Alemann

Von bis Name Funktion
1350 1351 Hans Alman Schöffe
1388 1393 Heyn Alman Schöffe
1393 1432 Hans Alemann Schöffe
1438 1451 Hinrik Alman Schöffe
1464 1477 Ludeke (Ludwig) Alman Schöffe
1477 1515 Hans Alman Schöffe
1477 1516 Johan Alman Schöffe

Hans Alemann (1440-1515) – Kreuzfahrer und Schöffe

Hans Alemann wird etwa 1430 das Licht der Welt erblickt haben, wenn er, wie in der Genealogie vermutet, 1644 in Erfurt studiert haben soll. Das Geburtsdatum in der Genealogie (1640) muss etwas vorverlegt oder das Studienjahr einem anderen Hans zugewiesen werden. Er heiratete Katharina Jarmarth, über deren Familie mir nichts weiter bekannt ist. Er starb vermutlich 1515 und überlebte seine Brüder Heine und Heinrich um mehr als ein Jahrzehnt.

Sein Leben verlief nicht so glatt, wie das seiner Brüder und das seines Cousins Johann. Denn Hans verband verband ein besonderes Ereignis mit Johanns Vater Ludwig: Beide folgten 1453 dem Aufruf des Franziskaners Giovanni di Capistrano zum Kreuz­zug gegen die Osmanen. Ludwig und Hans, den Onkel und seinen Neffen, trennten aber Welten: der knapp doppelt so alte Ludwig hat ganz gezielt nur am „Kreuzzug“,also an der Befreiung von Belgrad teilge­nom­men. Er hat dort als hoher Offizier (Oberst oder Obrist) ein Regiment geführt, während der jüngere Hans an diesen Kämpfen bestenfalls als Fähnrich beteiligt war. Ludwig kehrte nach 1456 direkt zurück in seine Heimatstadt. Hans blieb nach dem Rück­zug der Türken weiter in ungarischen Diensten. Er diente weitere 8 Jahre unter Matthias Corvinius, dem Sohn von Johann Hunyadi, zuletzt als Feldhauptmann.

Johann Hunyadi (1407–1456) (Gedenkmünze, Abbildung aus wikipedia)

Hunyadi hatte die Verteidigung Belgrad mehr oder weniger auf eigene Kosten organisiert. Er war in Europa und im osmanischen Reich weithin bekannt, da der seit Jahrzehnten die Verteidigung Europas gegen das Vordringen der osmanischen Armeen mit den ungarischen Truppen vorangetrieben hatte. 1444 erlitten die Ungarn eine schwere Niederlage. Der zwanzigjährige ungarische König  Wladislaw III wurden getötet- und auch der päpstliche Legat Cesarini, der päpstliche Truppen nach Ungarn begleitet hatte.

Nachfolger von Wladislaw wurde ein Vollwaise, zudem ein vierjähriges Kleinkind: Ladislaus Postumus. In den folgenden Wirren übernahm Hunyadi als Reichsverweser die Regentschaft für einen elternlosen Kinderkönig, den der Kaiser Friedrich III an seinem Hof festhielt, um die habsburgischen Ansprüche auf Ungarn und Böhmen sicherzustellen. Hunyadi war in dieser Zeit faktisch mit königlicher Macht ausgestattet und hatte dadurch wohl auch viele Feinde. 1453 kehrte der jetzt dreizehnjährige König nach Ungarn zurück, und Hun­­yadi wurde Generalkapitän des Königreiches. Er verlor aber seine bisherige Machtfülle.

Nach dem Fall Konstantinopels im gleichen Jahr, d.h. nach dem Zusammenbruch des griechisch-byzantischen Reiches, bereitete Hunyadi vor Belgrad eine erneute Abwehrschlacht vor gegen die Osmanen unter dem Sultan Mehmet II. Er fand beim ungari­schen Adel wenig Unterstützung und war daher auf die von Capestrano herbeigeführten Massen – zum Teil auch Bauernkinder aus Ungarn – angewiesen. Es spricht für das Genie des ungarischen Nationalhelden, dass er mit diesen „Kräften“ einen nachhaltigen Erfolg erzielen konnte. Auch sein Sohn Matthias, der spätere ungarische König (1458-1490), war in Belgrad einer der Kommandeure. Für Capestrano war dieser Kreuzzug die letzte große Anstrengung. Er und Hunyadi starben beide 1456 in Kroa­tien. Johann Hunyadis Sohn Matthias eroberte als ungarischer König schließlich Wien, das er bis zu seinem Lebensende zu seiner Residenzstadt machte. Er nannte sich nach einer römischen Patrizierfamilie Corvinus (=Rabe) und machte diesen Vogel zum Wappentier der Familie .

Doch zurück zu Hans Alemannn. Er geriet  1464 in osmanische Gefangenschaft. Erst nach acht Jahren konnten ihn seine Brüder Heine und Heinrich freikaufen. Die Gefangenschaft könnte also bis 1472 gedauert haben. Irgendwann in den folgenden Jahren ist er nach Magdeburg zurückgekehrt. 1477 wird er – zusammen mit dem Sohn des älteren Kreuzzüglers – ins Schöffenkolleg berufen. Etwa 1478/79 hat er die wesentlich jüngere Katharina Jarmarth geheiratet, denn das Jahr 1480 ist das Geburtsjahr seines ersten Sohnes.

1499 wird der Schöffe Hans Alemann zusammen mit dem Bürgermeister Hans Alemann (1450-1512), dem Sohn seines Bruders Heine, in einer Klageschrift des Erzbischofs Ernst von Sachsen erwähnt (UB II, S. 654):

Ersamen und fursichtigen lieben getrewen. Von den hochgebornen edeln und wolgebornen unnsern oheymen und lieben getrewen hern Waldemarn und hern Rudolffen gebrudem fursten zu Anhalt etc. und Gunthern graven und herren zu Mansfelt, die wir nechst mit werbung an euch gevertiget, ist unns ewr antwort widerumb inbracht, als ob ir von ewrn mitburgern und inwonern nicht gehort noch verstanden, das sie unns oder unnsere prelaten mit doctor Stanffmels bekentnus beswert hetten, so wir euch aber die selben namhaft machten, woltent ir euch der gebure halden; darauf zeugen wir euch an Hannsen Aleman burgermeister, Hannsen Hoym , den man nenn et den stadtvogt, Hannsen Aleman den eldisten unter den schöpffen und Giszen Dompnitz, von den wir und die unnsern mit solcher smehe und injurien unnser ere und glimpft aufs hochst herurend belestiget, die unns in keynen weg zu gedulden, und herren unns vorsehen, die selben benanten solten irer erb und lehenszpflicht, somit sie unns verwandt, in besser bedencken genommen und nicht so gar vergessenlich zurucke gestellet haben so wir danne gedachter irer beredung und ungegrundten beschuldigung solch redlich anzeigung erlanget, das wir ob sie das vorneynen wolten dye jhennen , die das von ine gehort, furstellen mnogen der gentzlichen zuvorsicht, ir werdent auch in bedacht der billicheit und ewren pflichten nach also gegen ine beweisen, das wir ewren vordriesz und miszfallen widder obgenanten mogen vermerken und unns und den unsern geburenden abtrage, kare und wandel von ynen beschaffen, des wir und was ewres gemuts hirinnen sein wil, ewr antwort begern lind gewarten.

Die folgende „Übersetzung“ gibt nur das wieder, was ich und die, mit denen ich diesen Text zu lesen suchte, glauben,  verstanden zu haben. Die Übertragung des Mittelhochdeutschen in unser heutiges Deutsch ist also bestenfalls „nachempfunden“.

Meine ehrsamen und umsichtigen lieben Getreuen. Von unseren hochgeborenen, edlen und wohlgeborenen  Oheimen (Onkeln), den lieben Getreuen, den Herren Brüdern Waldemar und Rudolf Fürsten von Anhalt etc. und dem Grafen und Herren Günter zu Mansfeld, die wir hier mit Forderungen an Euch ausgestattet haben, ist uns als eure Antwort wiederum überbracht worden, dass ihr von euren Mitbürgern und Einwohnern weder gehört noch das verstanden wurde, dass sie uns und unsere Prälaten mit Dr. Stanffmels Zeugnis belastet haben. Deshalb zeigen wir euch an: Hans Alemann, Bürgermeister, Hans Hoym, den man Stadtvogt nennt, Hans Alemann, den Ältesten unter den Schöffen, und Giszen Dompnitz, von denen wir mit Schmähungen und Beleidigungen – unsere Ehre und unseren Anstand auf das Höchste berührend – überzogen wurden,  die wir in keiner Weise dulden können, und das lässt uns fordern, dass diese Benannten gezwungen werden sollten, ihre Erb- und Lehnspflichten, durch die sie uns untertan sind, ernsthaft zu bedenken und diese nicht weiterhin zu vergessen und hintan zu stellen, so dass wir dann eine ehrliche Anklage vortragen können in Bezug auf ihr Gerede und die grundlosen Beschuldigungen, und dass wir, wenn sie das nicht anerkennen und einsehen, diejenigen, die das Beleidigende von ihnen gehört haben, als Zeugen vorladen mögen zum gesetzmäßigen  Verfahren, ihr werdet auch, die Billigkeit und eure Pflichten bedenkend, ihnen gegenüber beweisen müssen, dass wir euren Verdruss und Missfallen gegen die oben Genannten vortragen werden und uns und den unseren die gebührende Vergeltung, Sorge und ein entsprechendes Verhalten dieser Personen sicherstellen, weshalb wir eure Antwort dazu, was ihr hierauf zu erwidern mögt, verlangen und dringend erwarten.

Was dieser Klage zugrunde lag und was dabei herauskam, habe ich noch nicht herausfinden können. Von der Sache her ist der Vorfall einzuordnen in den Kampf, der in jene „große Übereinkunft“ mündete, von der die Portraits von Heine und Heinrich Alemann berichten.

In der uns vorliegenden  Genealogie ist dieser Hans Alemann der Ahnherrn der heutigen Alemänner. Seine Nachfahren fand man in Ratsämter, aber immer häufiger auch auf Gütern wie Callen­berg oder Gommern. Sein Sohn Moritz Alemann wurde Kämmerer und wird in Urkun­den genannt, da er während der Belagerung der Stadt 1550/51 den Herzog von Mecklenburg im Haus „Zum Lindwurm“ gegenüber der Ratswaage als Kriegsgefangenen und als „Gast“ aufgenommen hatte. Eine seiner Enkel­töch­ter heiratete ihren Cousin, Ebeling Alemann, einen tatkräftigen Förderer des Protestantismus.

Morgendämmerung einer bunten Welt der Konfessionen

Die Amtszeit der Schöffen Hans und Johann Alemann überspannt die Periode von 1477 bis 1516. Johann zählte zu denen, die bei den Verhandlungen über die „große Übereinkunft“ von 1497 mitwirkten. In diesem Jahr ging Luther in Magdeburg zur Schule bei den Troilusbrüdern, die hinter der Domvogtei am „Diebeshorn“ wohnten, einem Teil des späteren Fürstenwalls, der auch „Bei den Trillmännchen“ hieß.

Ungefähr hier lagen die kleine Häuschen der Troilusbrüder, die dort vor allen Kinder unterrichteten

1517, zwei Jahre nachdem der Schöffe Hans Alemann starb, und  ein Jahr nach dem Tod des Baccalaurus Johann Alemann veröffentlichte eben dieser Schüler der Magdeburger „Trillbrüder“ als Professor der jungen Wittenberger Universität seine 99 Thesen gegen den Ablass. Damit begann jene Reformation, die einen Schlussstrich zog unter viele missglückte Versuche, die römische Kirche zu reformieren. Die neue Reformation beendete die Idee von einer Welteinheitskirche, an der die römisch-katholische Kirche verbissen festhielt, und die „neue Zeit“ eröffnete eine Periode, in der sich die Religiosität in Konfessionen organisierte. Nicht mehr die Autorität und der Stellvertreter Gottes auf Erden, der Papst, sondern Gottes Wort, also die Bibel und deren Interpretation stand in der neuen Zeit im Zentrum des Glaubens.

Die 20 Mönche der St. Hieronymi-Bruderschaft , die Trillbrüder wandten sich „als das Licht der Reformation über Magdeburg aufging“, derselben „alsbald zu, traten in den weltlichen Stand und verheirateten sich“ (Hertel/Hülße, Bd 1, S.266). Es war eine ereignisreiche, aber doch relativ friedliche Zeit, in der Handel und Wandel wachsenden Wohlstand erlaubten.

Ein Jahr bevor die beiden Schöffen Johann und Hans ins Schöffenkolleg berufen wurden, hat der Erzbischof Ernst von Sachsen als zwölfjähriger Knabe das Erzbistum übernommen. 1513 starb er an der Syphilis im Alter von 49 Jahren. Sein Bruder, der Kurfürst Fried­rich der Weise, der fast Kaiser geworden wäre, wurde zu einer der Schlüsselfiguren der Reformation. Ohne ihn hätte auch Luther auf dem Scheiterhaufen ­enden können, so wie Johann Hus. Wäre der Erzbischof Ernst nicht so früh gestorben, hätte es wohl auch keinen Erzbischof Albrecht gegeben, der sich zum Erzbistum Mainz noch das Mainzer Erzbistum hinzukaufte und seine Schulden bei den Fuggern über jenen Ablass finanzierte, mit der Papst Leo X. den Bau der Peterskirche bezahlen wollte. Hätte es das Abkommen zwischen Leo X und Albrecht von Brandenburg nicht gegeben, in dem der Ablass hälftig zwischen beiden aufgeteilt wurde, wäre die Geschichte sicher anders verlaufen. Vielleicht hätte das Wort Reformation jenen Sinn behalten, den es in der Zeit des Erzbischofs Friedrich und des Dompredigers Tocke hatte.

Im Kern ging es der ganzen Scholastik, der gesamten mittelalterlichen Gelehrsamkeit ja nur um eines: um eine Menschenvernunft, die nicht in Widerspruch zum Willen Gottes gerät. Der Wille Gottes war also neben der Frage nach der Vernunft das große Thema des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Dabei stand der Papst immer im Feuer der Kritik, den er sollte ja diese Versöhnung des kaum Vereinbaren in seiner Person verkörpern.

Im Zeitalter der Konfessionalisierung verloren die Päpste diese Funktion. Sie wurden zu schlichten „Kirchenvorständen“, die seltsame Traditionen und Ansprüche pflegten. Spätestens mit der Gegenreformation steht auch in der Papstkirche die Bibel im Mittelpunkt der Diskussion als eine Autorität, deren Interpretation dank der letztlich unbekannten Eigenschaften Gottes immer strittig bleiben muss.

Der Erzbischof Friedrich, dessen Reformversuche wie so viele nahezu vergeblich waren, starb 1464 als Johann  11 Jahre alt war. Johanns Vater war wenige Jahre zuvor aus den Türkenkriegen zurückgekehrt und saß als Kämmerer im Oberalten Rat. Für Hans begann gerade die türkische Gefangenschaft. Johann begann ein Jahr später in Leipzig sein Studium. Er starb 1516, ein Jahr nach seinem Onkel Ludwig und seinem Schöffenkollegen Hans.

Ihr Leben endete also ganz kurz vor der lutherischen Reformation. Den Stab für die Magdeburger Alemänner übernahm wiederum ein Ludwig . Er war Bürgermeister, als Johann und Hans starben. … und ihm ist das nächste Portrait gewidmet.

Quellenangaben:

Urkunden/Grunddaten:
– Die Chroniken der niedersächsischen Städte – Magdeburg, erster Band, Stuttgart 1962, (Schöffenchronik), S. 359
– Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, Band 2, 1403-1464, Band 3 bis 1465-1513, Aalen 1978, (UB ll:  S. 95, 654; UB III, S. 125, 158ff, 167, 579),
– Max Dittmar, Bürgermeister und Kämmerer der Stadt Magdeburg von 1213-1630; in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg, 24. Jahrgang 1889, S. 135 ff.
– G. Hertel, Verzeichnis der Magdeburger Schultheißen, Schöffen und Ratsmänner; in: Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg, 16. Jahrgang 1881, S.253 ff.
– Ernst Neubauer, Häuserbuch der Stadt Magdeburg 1631-1720, Magdeburg 1931

Stadtgeschichtsschreibung:
– Hertel/Hülße, Friedrich Wilhelm Hoffmanns Geschichte der Stadt Magdeburg – neu bearbeitet, Magdeburg 1885, (Hofmann), S. 266
– F.A. Wolter, Geschichte der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1901, (Wolter)
– Helmut Asmus, 1200 Jahre Magdeburg, Magdeburg 2000.

– Anders Piltz, Die gelehrte Welt des Mittelalters, Köln 1982, S.131, 146f, 252

Genealogie:
ZMA. SH 3:Sippenverband Ziering-Moritz-Alemann, Heft Nr. 3, Berlin, Januar 1938 (im Internet unter www.z-m-a.de), S. 159ff, 244,
Eberhard v.Alemann, Geschichte des Geschlechts von Alemann, Magdeburg 1909, S.89, 11